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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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hinter der Kamera mitbekam. Manchmal konnte man den Kameramann - nebst Ausrüstung und allem - in einem Spiegel hinter den Darstellern sehen. Manchmal sah man die Hand eines Technikers oder Aufreizers - jemand, der
    eingestellt wurde, um die Darsteller in Drehpausen erregt zu halten - am Bildrand, wie die Gliedmaßen eines Liebhabers, der soeben aus dem Bett vertrieben worden war.
    Solche offensichtlichen Fehler kamen vergleichsweise selten vor. Wesentlich häufiger - und für William viel verräterischer -
    waren subtilere Spuren der Wirklichkeit hinter der Szene, die er beobachtete. Manchmal war ein Darsteller, dem eine Vielzahl von Sünden dargeboten wurden, nicht sicher, welche Öffnung er zuerst beglücken sollte, und er sah in die Kamera, um sich Rat zu holen; manchmal wurde hastig ein Bein
    weggezogen, weil der Allmächtige hinter der Kamera brüllte, daß es die wesentlichen Ereignisse verdeckte.
    Bei solchen Gelegenheiten, wenn die Fiktion, die ihn erregte
    - und die eigentlich nicht ganz Fiktion war, denn hart war hart und ließ sich nicht vortäuschen -, bloßgestellt wurde, dachte William, daß er Palomo Grove besser verstand. Etwas
    existierte hinter dem Leben des Ortes und dirigierte die täglichen Belange so selbstlos, daß niemand außer ihm wußte, daß es überhaupt da war. Und selbst er konnte es vergessen.
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    Monate konnten vergehen, und er ging seinen Geschäften nach
    - er war Makler -, ohne an die verborgene Hand zu denken.
    Und dann sah er etwas, wie in den Pornos. Vielleicht einen Gesichtsausdruck eines der älteren Einwohner oder einen Riß im Straßenbelag oder Wasser, das von einem überschwemmten Rasen den Hügel herunterfloß. Das alles reichte aus, ihn an den See und an den Bund zu erinnern, und er wußte, diese Stadt war nicht mehr als eine Fiktion - eigentlich nicht ganz Fiktion, denn Fleisch war Fleisch und ließ sich nicht vortäuschen - und er ein Darsteller in ihrer seltsamen Geschichte.

    Diese Geschichte war ohne dramatische Vorfälle wie den mit dem Bund der Jungfrauen in den Jahren seit Abschottung der Höhlen weitergegangen. Obwohl der Grove eine
    ausgezeichnete Stadt war, gedieh der Ort, und Witt mit ihm. Da Los Angeles an Größe und Wohlstand wuchs, wurden die
    Städtchen in Simi Valley, darunter auch der Grove, zu Schlafstätten der Großstadt. Ende der siebziger Jahre stiegen die Grundstückspreise des Ortes schwindelerregend an, etwa zu der Zeit, als William in das Geschäft einstieg. Sie stiegen erneut, besonders in Windbluff, als mehrere weniger
    bedeutende Stars beschlossen, ein Haus am Hill zu kaufen, was dem Ambiente einen bis dato unbekannten Reiz verschaffte.
    Das größte Haus, eine palastähnliche Residenz mit herrlicher Aussicht über die Stadt und das Tal dahinter, kaufte der Komiker Buddy Vance, der zu der Zeit die Sendung mit der höchsten Einschaltquote aller Sender hatte. Etwas weiter unten ließ der Cowboy-Darsteller Raymond Cobb ein Haus abreißen und eine geräumige Ranch mit Pool in Form eines Sheriffsterns bauen. Zwischen dem Haus von Vance und dem von Cobb lag ein fast völlig von Bäumen verborgenes Gebäude, in dem der Stummfilmstar Helena Davis wohnte - die zu ihrer Zeit die Schauspielerin Hollywoods war, über die man am meisten getratscht hatte. Sie war jetzt Ende Siebzig und lebte völlig 124
    zurückgezogen, was immer wieder zu wilden Gerüchten im Grove führte, wenn ein junger Mann auftauchte - immer einen Meter achtzig groß, immer blond - und verkündete, daß er ein Freund von Miß Davis war. Ihre Anwesenheit brachte dem Haus seinen Spitznamen ein: Sündenpfuhl.
    Es wurden auch andere Dinge von Los Angeles importiert.
    Im Einkaufszentrum machte ein Gymnastikstudio auf, das bald überfüllt war. Chinesische Restaurants kamen in Mode, was dazu führte, daß zwei eröffneten, die beide so gut besucht waren, daß sie den Konkurrenzkampf überlebten.
    Kunstgeschäfte machten auf, die Art Deco, amerikanische Naive und simplen Kitsch feilboten. Die Nachfrage nach Verkaufsräumen war so groß, daß das Einkaufszentrum einen zweiten Stock anbaute. Geschäfte, die sich früher nie im Grove hätten halten können, wurden plötzlich unentbehrlich. Zubehör für Swimmingpools, Maniküre- und Bräunungsstudios, eine Karateschule.
    Ab und zu kam es vor, daß ein Neuankömmling, der auf eine Pediküre wartete, oder jemand in der Zoohandlung, während sich die Kinder zwischen drei verschiedenen Chinchillaarten entscheiden mußten, Gerüchte über die

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