Jenseits des Bösen
streng über mich, bat sie. Ich wollte in meinem ganzen Leben niemandem weh tun.
Der Brief wurde von den Eltern dahingehend interpretiert, daß die Mädchen tatsächlich von jemandem angegriffen und vergewaltigt worden waren und daß sie die Identität des Täters oder der Täter aus unerfindlichen Gründen geheimgehalten hatten.
Da Carolyn tot, Arleen wahnsinnig und Trudi nach Chicago gezogen war, blieb es Joyce McGuire überlassen, die ganze Wahrheit zu enthüllen, ohne Auslassungen oder Ausschmük-kungen, und die Geschichte vom Bund der Jungfrauen zu Grabe zu tragen. Anfangs weigerte sie sich. Sie behauptete, sie könne sich überhaupt nicht erinnern, was an jenem Tag geschehen war. Das traumatische Erlebnis hatte sämtliche Erinnerun-120
gen verdrängt.
Aber damit gaben sich weder die Hotchkiss' noch die
Farrells zufrieden. Sie übten über Joyce' Vater zunehmenden Druck auf das Mädchen aus. Dick McGuire war kein kräftiger Mann, weder geistig noch körperlich, und seine Kirche erwies sich in dieser Frage als überhaupt nicht hilfreich und stellte sich auf die Seite der Nicht-Mormonen gegen das Mädchen.
Die Wahrheit mußte ans Licht kommen.
Um zu verhindern, daß die Verbohrten ihrem Vater noch mehr Leid zufügten, als sie dies schon getan hatten, sprach Joyce schließlich. Es war eine seltsame Szene. Die sechs Eltern und Pastor John, der seelische Führer der Mormonengemeinde im Grove und Umgebung, saßen im Eßzimmer der McGuires und hörten dem blassen, hageren Mädchen zu, das mit beiden Händen nacheinander erst eine und dann die andere Krippe wiegte, um die beiden Kinder schlafen zu legen, von deren Empfängnis sie erzählte.
Zuerst warnte sie die Zuhörer, daß ihnen nicht gefallen würde, was sie zu sagen hatte.
Dann rechtfertigte sie ihre Warnung mit der tatsächlichen Geschichte. Sie erzählte alles von Anfang an: der Spaziergang; der See; das Schwimmen; die Wesenheiten, die im Wasser um ihre Körper gekämpft hatten; ihre Flucht; ihre Leidenschaft für Randy Krentzman - dessen Familie den Grove schon vor Monaten verlassen hatte, wahrscheinlich aufgrund eines stillen Ge-ständnisses seinerseits; der Wunsch, den sie mit den anderen Mädchen teilte, so schnell und sicher wie möglich schwanger zu werden...
»Also ist Randy Krentzman für alles verantwortlich?« fragte Carolyns Vater.
»Der?« sagte sie. »Dazu wäre er nicht fähig gewesen.«
»Wer dann?«
»Du hast versprochen, die ganze Geschichte zu erzählen«, erinnerte der Pastor sie.
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»Das werde ich auch«, antwortete sie. »Soweit ich sie weiß.
Randy Krentzman war meine Wahl. Wir wissen alle, wie
Arleen die Sache angepackt hat. Ich bin sicher, Carolyn hat einen anderen gefunden. Und Trudi auch. Wißt ihr, die Väter waren überhaupt nicht wichtig. Sie waren nur Männer.«
»Willst du damit sagen, daß der Teufel in dir ist, Kind?«
fragte der Pastor.
»Nein.«
»Dann in den Kindern?«
»Nein. Nein.« Sie wiegte jetzt beide Wiegen, mit jeder Hand eine. »Jo-Beth und Tommy-Ray sind nicht besessen. Jedenfalls nicht so, wie Sie meinen. Sie sind einfach nicht Randys Kinder.
Vielleicht haben sie etwas von seinem guten Aussehen...« Sie gestattete sich ein sanftes Lächeln, »... das würde mir gefallen«, sagte sie. »Weil er so hübsch war. Aber der Geist, der sie gezeugt hat, ist in dem See.«
»Es gibt keinen See«, erwähnte Arleens Vater.
»An jenem Tag gab es einen. Und vielleicht gibt es wieder einen, wenn es stark genug regnet.«
»Nicht, wenn ich es verhindern kann.«
Ob er Joyce glaubte oder nicht, Farrell hielt Wort. Er und Hotchkiss brachten rasch genügend Mittel auf, damit sie die Zugänge zu den Höhlen versiegeln lassen konnten. Die meisten Spender unterschrieben nur einen Scheck, damit sie Farrell schnellstmöglich wieder loswurden. Seit seine Prinzessin wahnsinnig geworden war, hatte er die Anziehungskraft einer tickenden Bombe.
Im Oktober, knapp fünfzehn Monate nach dem
Schwimmausflug der Mädchen, wurde die Spalte zubetoniert.
Sie sollten noch einmal dorthin gehen, aber erst viele Jahre später.
Bis dahin konnten die Kinder von Palomo Grove friedlich spielen.
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Dritter Teil
Freie Geister
I
William Witt kaufte im Verlauf der folgenden siebzehn Jahre, während er zum Mann heranwuchs, Hunderte erotischer Magazine und Filme, anfangs per Post, später persönlich in Los Angeles, wohin er einzig zu diesem Zwecke fuhr, und er bevorzugte stets diejenigen, bei denen er noch etwas vom Leben
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