Jenseits des Bösen
Veränderungen in dem Ort statt, die nicht so
offensichtlich waren wie volle Bars und Einkaufszentren.
Hinter verschlossenen Türen mußte die Jugend von Palomo Grove vehementer um ihre Vorrechte kämpfen, da Eltern, spe-115
ziell Väter von Töchtern, Freiheiten einschränkten, die zuvor als gegeben betrachtet worden waren. Diese häuslichen Zwistigkeiten zerrütteten einige Familien und entzweiten andere vollkommen. Der Alkoholkonsum stieg entsprechend an; Marvin's Food and Drug machte im Oktober und November ein hervorragendes Geschäft mit harten Spirituosen, und über Weihnachten schnellte die Nachfrage in die Stratosphäre, als Vorkommnisse wie Trunkenheit, Ehebruch, das Verprügeln von Ehefrauen und Exhibitionismus Palomo Grove, zusätzlich zu den üblichen Festivitäten, in ein Sündenparadies
verwandelten.
Nachdem die Feiertage und private Scharmützel vorüber waren, beschlossen einige Familie, den Grove ganz zu verlassen, woraufhin eine subtile Neuorganisation des gesellschaftlichen Lebens der Stadt einsetzte, da bislang als erstrebenswert betrachtete Immobilien - zum Beispiel die in den Crescents, jetzt vom Makel der Farrells befleckt - im Wert fielen und von Leuten gekauft wurden, die noch im Sommer zuvor nicht zu träumen gewagt haben würden, daß sie einmal in dieser Gegend leben würden.
So viele Folgen zeitigte ein Kampf in unruhigem Gewässer.
Der Kampf war selbstverständlich nicht unbeobachtet geblieben. Was William Witt in seinem kurzen Leben als Voyeur über Geheimhaltung gelernt hatte, erwies sich im Verlauf der anschließenden Ereignisse als unschätzbar wertvoll. Mehr als einmal war er kurz davor, jemandem zu erzählen, was er am See beobachtet hatte, aber er widerstand der Versuchung, weil er wußte, der kurze Ruhm, der ihm dafür zuteil werden würde, wäre mit anschließendem Argwohn und möglicherweise
Bestrafung erkauft. Nicht nur das; die Aussichten standen gut, daß ihm nicht einmal jemand glauben würde. Aber er hielt die Erinnerungen wach, indem er den Ort des Geschehens
regelmäßig besuchte. Unmittelbar nach dem Vorfall war er 116
sogar täglich hingegangen, um zu sehen, ob er die Bewohner des Sees vielleicht noch einmal erblicken würde. Aber der Wasserspiegel sank bereits. Er war über Nacht um beinahe ein Drittel gesunken. Nach einer Woche war überhaupt kein Wasser mehr da, und man konnte eine Spalte in der Erde sehen, die offenbar zu den unterirdischen Höhlen unter der Stadt führte.
Er war nicht der einzige Besucher dort. Nachdem Arleen preisgegeben hatte, was sich an jenem Nachmittag dort zugetragen hatte, suchten zahllose Schaulustige nach der Stelle.
Die Aufmerksameren fanden sie sofort: Das Wasser hatte das Gras gelb gemacht und mit getrocknetem Schlick überzogen.
Einer oder zwei versuchten sogar, in die Höhle vorzudringen, aber die Spalte fiel buchstäblich senkrecht ab und bot keinerlei Halt. Nach ein paar Tagen des Ruhms wurde die Stelle wieder sich selbst und Williams einsamen Besuchen überlassen. Trotz der Angst, die er empfand, verschaffte es ihm eine seltsame Befriedigung, dorthin zu gehen. Er hatte ein Gefühl der Mittäterschaft, ganz zu schweigen von der erotischen
Spannung, die er empfand, wenn er dort stand, wo er an jenem Tag gestanden hatte, und sich die nackten Badenden vorstellte.
Das Schicksal der Mädchen interessierte ihn nicht besonders.
Er las ab und zu von ihnen, und manchmal hörte er, wie von ihnen gesprochen wurde, aber für William bedeutete aus den Augen auch aus dem Sinn. Es gab Besseres zu beobachten. Da sich der Ort im Aufruhr befand, konnte er jede Menge
spionieren: beiläufige Verführung und niederträchtige Sklaverei; Wutausbrüche; Prügel; Abschiedsszenen mit
blutigen Nasen. Eines Tages, dachte er, werde ich das alles aufschreiben. Das Buch wird den Titel Witts Buch tragen, und wenn es veröffentlicht ist, werden alle wissen, daß ihre Geheimnisse mir gehören.
Wenn er ab und zu doch an die momentane Lage der
Mädchen dachte, dann mit Vorliebe an Arleen, weil sie im 117
Krankenhaus war, wo er sie nicht sehen konnte, selbst wenn er es gewollt hätte, und seine Ohnmacht war, wie für jeden Voyeur, ein Ansporn. Sie war krank im Kopf, hatte er gehört, und niemand wußte so richtig den Grund dafür. Sie wollte dauernd, daß Männer zu ihr kamen, sie wollte Babys haben, wie die anderen, und weil sie das nicht konnte, war sie krank.
Aber seine Neugier hinsichtlich des Mädchens verschwand völlig, als er jemanden
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