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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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geboren werden. Als käme er von einem sicheren Ort in ein
    atemberaubendes Abenteuer. Es gab nichts Schöneres auf der Welt als die sanfte Rundung ihrer Lippen, als sie ihm zu-lächelte.
    Und sie lächelte wie bei einem perfekten Flirt. Hör auf, sagte sie zu sich, sieh weg! Er wird denken, daß du den Verstand verloren hast, ihn so anzustarren. Aber er starrt dich ja auch an, oder nicht?
    Ich sehe sie an, so lange sie mich ansieht.
    ... so lange er mich ansieht...
    »Jo-Beth!«
    Der Ruf kam aus der Küche. Sie blinzelte.
    »Sagten Sie Coke?« fragte ihn die Kellnerin.
    Jo-Beth sah zur Küche - Murray rief nach ihr, sie mußte gehen -, dann wieder zu dem Jungen mit dem Buch. Er sah sie immer noch starr an.
    »Ja«, sah sie ihn sagen.
    Sie wußte, das Wort war für sie. Ja, geh, sagte er. Ich werde 136
    auf dich warten.
    Sie nickte und ging.
    Die ganze Begegnung hatte vielleicht fünf Sekunden
    gedauert, aber sie zitterten beide.
    In der Küche spielte Murray wie üblich den Märtyrer.
    »Wo bist du gewesen?«
    »Zwei Minuten zu spät, Murray.«
    »Ich sage zehn. In der Ecke sitzen drei Personen. Das ist dein Tisch.«
    »Ich ziehe die Schürze an.«
    »Beeil dich.«
    Howie beobachtete die Küchen tür, bis sie wieder
    herauskam; Siddhartha hatte er vergessen. Als sie herauskam, sah sie nicht in seine Richtung, sondern ging zu einem Tisch am anderen Ende des Restaurants. Es kümmerte ihn nicht, daß sie nicht hersah. Dieser erste Blickwechsel hatte ein gegenseitiges Verstehen ausgelöst. Er würde die ganze Nacht warten, wenn es sein mußte, und den ganzen morgigen Tag über, falls erforderlich, bis sie mit ihrer Arbeit fertig war und ihn wieder ansah.

    In der Dunkelheit unter Palomo Grove hielten die Erzeuger dieser Kinder einander immer noch fest, wie immer, seit sie zur Erde gestürzt waren, weil keiner bereit war, die Freiheit des anderen zu riskieren. Selbst als sie aufgestiegen waren, um die Badenden zu berühren, hatten sie es gemeinsam getan, wie an der Hüfte zusammengewachsene Zwillinge. Fletcher hatte die Absichten des Jaff an jenem Tag nur schwerfällig begriffen. Er hatte gedacht, der Mann wollte seine verderbten Terata aus den Mädchen ziehen. Aber seine Böswilligkeit war ambitionierter gewesen. Er hatte die Zeugung von Kindern im Sinn, und Fletcher hatte, so verabscheuenswert es war, dasselbe tun müssen. Er war nicht stolz auf seinen Überfall. Und als sie Nachrichten von den Folgen ihres Tuns erhalten hatten, hatte er 137
    sich noch mehr geschämt. Einmal hatte er mit Raul am Fenster gesessen und hatte davon geträumt, Himmel zu sein. Statt dessen hatte sein Krieg mit dem Jaff ihn gezwungen,
    Unschuldige zu verderben, deren Zukunft er mit einer einzigen Berührung zunichte gemacht hatte. Der Jaff fand nicht wenig Freude an Fletchers Gewissensbissen. In den Jahren, die sie in Dunkelheit verbrachten, hatte Fletcher häufig gespürt, wie sich die Gedanken seines Gegners den Kindern zuwandten, die sie gemacht hatten, und er hatte sich gefragt, welches von ihnen als erstes kommen würde, um seinen wirklichen Vater zu retten.
    Zeit war nicht mehr dasselbe für sie wie vor dem Nuncio. Sie hatten keinen Hunger und brauchten keinen Schlaf. Sie waren vereint wie Liebende und warteten im Fels. Manchmal konnten sie Stimmen von oben hören, die durch Durchgänge hallten, welche aufgrund von subtilen, aber stetigen Bewegungen in der Erde entstanden. Aber diese Bruchstücke boten keinerlei Informationen, wie es um ihre Kinder stand, mit denen sie bestenfalls schwachen geistigen Kontakt hatten. Jedenfalls war das bisher so gewesen.
    Heute nacht waren ihre Nachkommen einander begegnet,
    und plötzlich war der Kontakt klar, als hätten ihre Kinder etwas von ihrer eigenen Natur begriffen, als sie ihre perfekten Gegenstücke sahen, und ihren Geist unwissentlich ihren Schöpfern geöffnet. Fletcher geriet in den Kopf eines Jungens, der sich Howard nannte, der Sohn von Trudi Katz. Er sah durch die Augen des Jungen das Kind des Gegners, so wie der Jaff Howie durch die Augen seiner Tochter sehen konnte.
    Dies war der Augenblick, auf den sie gewartet hatten. Der Krieg, den sie über halb Amerika hinweg geführt hatten, hatte sie beide erschöpft. Aber jetzt waren ihre Kinder auf der Welt, um an ihrer Stelle zu kämpfen; um den Krieg zu beenden, der seit zwei Jahrzehnten unentschieden war. Diesesmal würde der Kampf bis zum Tod gehen.
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    Hatten sie gedacht. Jetzt verspürten Fletcher und der Jaff zum erstenmal in ihrem

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