Jenseits des Bösen
dachte, daß ich dich kenne. Und du auch.«
»Das macht dich nervös.«
»Sieht man mir das an?«
»Ja. Ich habe... habe noch nie ein Gesicht gesehen, das so...
offen war. Ich möchte es gern küssen.«
Im Fels wanden sich die Geister. Jedes verführerische Wort, das sie gehört hatten, war ein Messerstich gewesen. Aber sie hatten nicht die Macht, die Unterhaltung zu verhindern. Sie konnten nur in den Köpfen ihrer Kinder sitzen und zuhören.
»Küß mich«, sagte sie.
Sie erschauerten.
Howie legte eine Hand auf ihr Gesicht.
Sie erschauerten, bis der Boden um sie herum bebte.
Sie kam einen halben Schritt auf ihn zu und preßte die lächelnden Lippen auf seine.
Bis sich Risse in dem Beton zeigten, der sie vor achtzehn Jahren eingesperrt hatte. Genug! Schrien sie in den Ohren ihrer Kinder, genug! Genug!
»Hast du etwas gespürt?« sagte er.
Sie lachte. »Ja«, sagte sie. »Ich glaube, die Erde hat gebebt.«
142
III
l
Die Mädchen gingen zweimal zum Wasser hinunter.
Zum zweitenmal am Morgen nach der Nacht, als Howard
Katz mit Jo-Beth McGuire zusammengetroffen war. Ein strahlender Morgen, die schwüle Luft des Vorabends war von einem Wind davongeweht worden, der frische Brisen versprach, die die Nachmittagshitze lindern würden.
Buddy Vance hatte wieder allein in dem Bett geschlafen, das er für drei hatte bauen lassen. Drei in einem Bett - hatte er gesagt (und war unglücklicherweise zitiert worden) -, das war der Schweine-Himmel. Zwei waren eine Ehe; und die Hölle.
Davon hatte er schon so viele gehabt, um zu wissen, daß es nichts für ihn war, aber es hätte den herrlichen Morgen noch herrlicher gemacht, wenn er gewußt hätte, daß eine Frau an dessen Ende auf ihn wartete, selbst wenn es eine Ehefrau war.
Es hatte sich herausgestellt, daß seine Beziehung mit Ellen so pervers war, daß sie nicht von Dauer sein konnte; er würde sie bald entlassen müssen. Das leere Bett machte zumindest seine neue morgendliche Pflichtübung leichter. Da niemand ihn dazu verführen konnte, sich wieder auf die Matratze zu fläzen, fiel es ihm nicht ganz so schwer, die Joggingausrüstung anzuziehen und die Straße den Hügel hinunterzulaufen.
Buddy war vierundfünfzig, doch beim Joggen fühlte er sich doppelt so alt. Aber zu viele seiner Altersgenossen waren in letzter Zeit weggestorben, sein zeitweiliger Agent Stanley Goldhammer war der letzte Dahingeschiedene, und sie alle waren an denselben Ausschweifungen gestorben, nach denen er immer noch durch und durch süchtig war. Zigarren, Fusel, Stoff. Von all seinen Lastern waren Frauen noch das
gesündeste, doch selbst sie waren ein Vergnügen, das er heutzutage nur noch in Maßen genießen konnte. Er konnte 143
nicht mehr die ganze Nacht hindurch vögeln, wie er es als Dreißigjähriger gekonnt hatte. In jüngster Zeit hate er es ein paarmal überhaupt nicht gebracht - ein traumatisches Erlebnis.
Ein Versagen, dessentwegen er den Arzt aufgesucht und ein Leistungsmittel verlangt hatte, koste es, was es wolle.
»So etwas gibt es nicht«, hatte Tharp gesagt. Er behandelte Buddy seit seiner Zeit beim Fernsehen, als die Buddy Vance Show allwöchentlich die höchsten Einschaltquoten gehabt hatte und ein Witz, den er um acht erzählte, am nächsten Morgen von jedem Amerikaner weitererzählt wurde. Tharp kannte den Mann, der einmal als der komischste Mann der Welt
bezeichnet worden war, durch und durch.
»Du treibst Raubbau mit deinem Körper, Buddy, und zwar jeden Tag. Und du sagst, du willst nicht sterben. Du willst noch mit hundert in Vegas auftreten.«
»Richtig.«
»Bei deinem derzeitigen Lebenswandel gebe ich dir noch zehn Jahre. Wenn du Glück hast. Du hast Übergewicht und zuviel Streß. Ich habe schon gesündere Leichen gesehen.«
»Ich mache die Witze, Lou.«
»Ja, und ich fülle die Totenscheine aus. Also unternimm etwas, sonst gehst du denselben Weg wie Stanley.«
»Meinst du, darüber denke ich nicht nach?«
»Das weiß ich, Bud. Das weiß ich.«
Tharp stand auf und kam auf Buddys Seite des Schreibtischs.
An der Wand hingen gerahmte Fotos der Stars, die er beraten und behandelt hatte. So viele berühmte Namen. Die meisten tot: zu viele vor ihrer Zeit. Der Ruhm hatte seinen Preis.
»Ich bin froh, daß du zur Vernunft kommst. Wenn es dir wirklich ernst ist...«
»Ich bin hier, oder nicht? Soll ich denn noch ernster werden?
Du weißt, wie sehr ich es verabscheue, darüber zu reden. Ich habe in meinem ganzen Leben keinen Witz über den Tod
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