Jenseits des Bösen
Alles hier ist gut. Er hätte es beinahe auch glauben können. Die polierten Autos glänzten auf dem Parkplatz; die Hinweisschilder zum hinteren Teil des Einkaufskomplexes glänzten; die
Motelfassade - mit einem Schild versehen, Willkommen in Palomo Grove, dem blühenden Hafen - war so bunt bemalt wie ein Zeichentrickfilm am Samstagvormittag. Als er das Zimmer hatte, war er froh, daß er die Jalousie herunterziehen, den Tag fernhalten und ein wenig herumlungern konnte.
Der letzte Abschnitt der Fahrt hatte ihn erschöpft, daher beschloß er, sein System mit ein paar Übungen und einer Dusche wieder auf Vordermann zu bringen. Die Maschine, wie er seinen Körper nannte, war zu lange im Fahrersitz gewesen; sie brauchte eine Überarbeitung. Er wärmte sich mit zehn Minuten Schattenboxen auf, einer Kombination aus Tritten und
Schlägen, gefolgt von seinem Lieblingscocktail spezieller 128
Kicks: Axt, Sichelsprung, Sprunghaken und Sprung mit
seitlichen Kicks. Wie üblich heizte das Aufwärmen der Muskeln auch seinen Verstand an. Als er bei seinen
Kniebeugen und Klappmessern angelangt war, fühlte er sich bereit, es mit halb Palomo Grove aufzunehmen, um eine Antwort auf die Frage zu erhalten, deretwegen er hierhergekommen war.
Die lautete: Wer ist Howard Katz? Ich war als Antwort nicht ausreichend. Ich, das war nur die Maschine. Er brauchte mehr Informationen.
Wendy hatte diese Frage während der langen nächtlichen Unterhaltung gestellt, die schließlich dazu führte, daß sie ihn verlassen hatte.
»Ich mag dich, Howie«, sagte sie. »Aber ich kann dich nicht lieben. Und weißt du, warum? Weil ich dich nicht kenne.«
»Weißt du, was ich bin?« hatte Howie geantwortet. »Ein Mann mit einem Loch in der Mitte.«
»Ein unheimlicher Ausdruck.«
»Ein unheimliches Gefühl.«
Unheimlich, aber wahr. Wo andere sich ihrer Identität als Menschen bewußt waren - Ambitionen, Meinungen, Religion hatten -, hatte er nur diese bemitleidenswerte Unschärfe. Wer ihn kannte - Wendy, Richie, Lem -, hatte Geduld mit ihm. Sie hörten sich trotz Stammeln und Stottern an, was er zu sagen hatte, und schienen Wert auf seine Meinung zu legen. (Du bist mein heiliger Narr, hatte Lem einmal zu Howie gesagt; eine Bemerkung, über die Howie heute noch nachdachte.) Aber für den Rest der Welt war er der Tölpel Katz. Sie hänselten ihn nicht offen - er war so durchtrainiert, daß es nicht einmal Schwergewichte im Zweikampf gegen ihn aufnehmen konnten
-, aber er wußte, was sie hinter seinem Rücken sagten, und das lief immer auf dasselbe hinaus: Katz hatte eine Schraube locker.
Daß Wendy ihn schließlich auch im Stich gelassen hatte, 129
konnte er nicht mehr ertragen. Er war so verletzt gewesen, daß er sich nicht herausgetraut hatte, und hatte fast eine Woche lang über das Gespräch nachgedacht. Plötzlich war ihm die Lösung klargeworden. Wenn es einen Ort auf der Welt gab, wo er das Wie und Warum seiner Existenz ergründen konnte, dann sicher die Stadt, in der er geboren wurde.
Er hob die Jalousie und sah ins Licht hinaus. Es war
perlmuttfarben; die Luft roch mild. Er konnte sich nicht vorstellen, warum seine Mutter dieses herrliche Fleckchen verlassen hatte und statt dessen die bitterkalten Winter und sengenden Sommer in Chicago erduldete. Und nach ihrem Tod
- ganz unerwartet, im Schlaf -, würde er das Geheimnis alleine ergründen müssen; und wenn er es ergründete, würde er vielleicht das Loch ausfüllen, das die Maschine quälte.
Gerade als sie vor der Tür stand, rief Mama oben aus ihrem Zimmer herunter - ein Zeitpunkt, der so perfekt war wie immer.
»Jo-Beth? Bist du da? Jo-Beth?«
Immer derselbe erschöpfte Tonfall, der zu warnen schien: Hab mich lieb, weil ich morgen vielleicht nicht mehr da bin.
Vielleicht schon in der nächsten Stunde nicht mehr.
»Liebes, bist du noch da?«
»Das weißt du doch, Mama.«
»Kann ich mit dir reden?«
»Ich komme zu spät zur Arbeit.«
»Nur eine Minute. Bitte. Was ist schon eine Minute?«
»Ich komme. Reg dich nicht auf. Ich komme ja.«
Jo-Beth ging nach oben. Wie oft am Tag legte sie diesen Weg zurück? Ihr Leben wurde in Stufen gezählt, die sie hinauf und hinab, hinauf und hinab ging.
»Was ist denn, Mama?«
Joyce McGuire lag in ihrer üblichen Haltung: auf dem Sofa neben dem offenen Fenster, mit einem Kissen unter dem Kopf.
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Sie sah nicht krank aus; war es aber fast immer. Die
Spezialisten kamen, untersuchten sie, verlangten ihr Honorar und gingen achselzuckend
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