Jenseits des Bösen
Leben denselben Schmerz - gleich einem einzigen Dorn, der durch ihre beiden Seelen getrieben wurde.
Das war kein Krieg, verdammt. Das hatte überhaupt nichts mit Krieg zu tun.
»Keinen Hunger mehr?« wollte die Kellnerin wissen.
»Muß wohl so sein«, antwortete Howie.
»Soll ich abräumen?«
»Ja.«
»Noch einen Kaffee? Dessert?«
»Eine Cola.«
»Eine Cola.«
Jo-Beth war in der Küche, als Beverly mit dem Teller herein kam.
»Gutes Steak verschwendet«, sagte Beverly.
»Wie heißt er?« wollte Jo-Beth wissen.
»Bin ich eine Auskunftei? Ich habe ihn nicht gefragt.«
»Geh ihn fragen.«
»Frag du doch. Er will noch eine Cola.«
»Danke. Kümmerst du dich um meinen Tisch?«
»Nenn mich Amor.«
Es war Jo-Beth gelungen, sich eine halbe Stunde auf ihre Arbeit zu konzentrieren und den Jungen nicht anzusehen: genug war genug. Sie schenkte eine Cola ein und trug sie hinaus. Zu ihrem Entsetzen war der Tisch verlassen. Sie hätte das Glas beinah fallen lassen; beim Anblick des leeren Stuhls wurde ihr körperlich übel. Dann sah sie aus dem Augenwinkel, wie er aus der Toilette kam und wieder zu seinem Tisch ging.
Er sah sie und lächelte. Sie ging zu dem Tisch und mißachtete unterwegs zwei Rufe nach ihr. Sie wußte bereits, welche Frage sie zuerst stellen würde: Sie ging ihr von Anfang an im Kopf herum. Aber er kam ihr mit demselben Anliegen zuvor.
»Kennen wir uns?«
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Und sie kannte die Antwort natürlich.
»Nein«, sagte sie.
»Nur, wenn du... du... du...« Er stolperte über das Wort, seine Kiefermuskeln arbeiteten, als würde er Kaugummi kauen.
»... du...« wiederholte er ständig, »... du...«
»Ich habe dasselbe gedacht«, sagte sie und hoffte, es würde ihn nicht beleidigen, daß sie seinen Gedanken zu Ende führte.
Anscheinend nicht. Er lächelte ihr zu, sein Gesicht wurde entspannter.
»Seltsam«, sagte sie. »Du bist nicht aus dem Grove, oder?«
»Nein. Chicago.«
»Ein weiter Weg.«
»Aber ich kam hier zur Welt.«
»Wirklich?«
»Ich heiße Howard Katz. Howie.«
»Ich bin Jo-Beth...«
»Wann hast du hier Feierabend?«
»Gegen elf. Gut, daß du heute hergekommen bist. Ich arbeite nur montags, mittwochs und freitags hier.«
»Wir hätten einander gefunden«, sagte er so überzeugt, daß ihr zum Weinen zumute war.
»Ich muß wieder arbeiten«, sagte sie zu ihm.
»Ich warte«, antwortete er.
Zehn nach elf verließen sie Butrick's gemeinsam. Die Nacht war warm, aber nicht angenehm, luftig warm, sondern schwül.
»Warum bist du in den Grove gekommen?« fragte sie ihn, während sie zum Auto gingen.
»Um dich kennenzulernen.«
Sie lachte.
»Warum nicht?« sagte er.
»Also gut. Und warum bist du weggegangen?«
»Meine Mutter zog nach Chicago, als ich erst ein paar Wochen alt war. Sie hat kaum von der alten Heimatstadt 140
gesprochen. Und wenn, dann so, als würde sie von der Hölle sprechen. Ich schätze, ich wollte mich selbst überzeugen.
Vielleicht, um sie und mich ein wenig besser zu verstehen.«
»Ist sie noch in Chicago?«
»Sie ist tot. Vor zwei Jahren gestorben.«
»Wie traurig. Und was ist mit deinem Vater?«
»Ich habe keinen. Nun... ich meine... ist... ist...« Er fing an zu stottern, kämpfte dagegen und siegte. »Ich habe ihn nie kennengelernt«, sagte er.
»Es wird immer unheimlicher.«
»Warum?«
»Bei mir ist es genauso. Ich weiß auch nicht, wer mein Vater ist.«
»Ist auch nicht so wichtig, oder?«
»Früher schon. Heute nicht mehr so sehr. Weißt du, ich habe einen Zwillingsbruder. Tommy-Ray. Er war immer für mich da. Du mußt Tommy-Ray kennenlernen. Wirst ihn mögen. Wie alle.«
»Wie dich. Ich wette, alle... alle... alle mögen dich auch.«
»Das heißt?«
»Du bist wunderschön. Ich werde Konkurrenz von der Hälfte aller Jungs im Ventura County haben, nicht?«
»Nee.«
»Das glaube ich dir nicht.«
»Oh, sie betrachten die Auslage. Fassen aber nichts an.«
»Ich auch?«
Sie blieb stehen. »Ich kenne dich nicht, Howie. Oder besser, ich kenne dich, und doch auch wieder nicht. Als ich dich im Steak House gesehen habe, habe ich dich von irgendwoher gekannt. Nur war ich nie in Chicago, und du warst nicht mehr im Grove seit...« Sie runzelte plötzlich die Stirn. »Wie alt bist du?« sagte sie.
»Vergangenen April achtzehn.«
Sie runzelte die Stirn noch mehr.
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»Was?« sagte er.
»Ich auch.«
»Hm?«
»Vergangenen April achtzehn. Am vierzehnten.«
»Ich am zweiten.«
»Das ist alles reichlich seltsam, findest du nicht? Ich
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