Jenseits des Bösen
Fletcher ihm. »Du bist zweimal in deinem Leben in der Essenz geschwommen. In der Nacht, als du geboren wurdest, und in der Nacht, als du zum erstenmal neben dem Wesen lagst, das du am meisten in deinem Leben geliebt hast. Wer war das, Buddy? Du hast so viele Frauen gehabt, nicht? Welche hat dir am meisten bedeutet? Oh... aber natürlich. Letztendlich gab es nur eine.
Habe ich recht? Deine Mutter.«
Woher, zum Teufel, weißt du das?
»Sagen wir, gut geraten...«
Lügner!
»Also gut, ich wühle ein wenig in deinen Erinnerungen. Verzeih mir mein Eindringen. Ich brauche Hilfe, Buddy, sonst hat mich der Jaff besiegt. Das möchtest du doch nicht.«
Nein, das möchte ich nicht.
»Fantasiere für mich, denk nach. Gib mir mehr als Bedauern, aus dem ich mir Verbündete machen kann. Wer sind deine Helden?«
Helden?
»Stell sie dir vor, für mich.«
Komiker! Allesamt.
»Eine Armee von Komikern? Warum nicht?«
Dieser Gedanke brachte Buddy zum Lächeln. Ja, warum eigentlich nicht? Hatte er nicht auch einmal geglaubt, daß seine Kunst das Böse aus der Welt tilgen könnte? Vielleicht hatte eine Armee heiliger Narren mit Gelächter Erfolg, wo Bomben versagt hatten. Eine süße, lächerliche Vision. Komiker auf dem Schlachtfeld, die den Gewehren die entblößten Ärsche
entgegenstreckten und den Generälen Gummihähnchen auf die Köpfe schlugen; grinsendes Kanonenfutter, das Politiker mit Witzen besiegte und Friedensverträge mit Zaubertinte
unterschrieb.
Sein Lächeln wurde zu Gelächter.
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»Bewahre diesen Gedanken«, sagte Fletcher und griff in Buddys Verstand.
Das Lachen tat weh. Nicht einmal Fletchers Berührung
konnte die neuerlichen Krämpfe in Buddys Körper eindämmen.
»Stirb nicht!« sagte Fletcher. »Noch nicht! Für die Essenz, noch nicht!«
Aber sein Bemühen war vergeblich. Gelächter und
Schmerzen hielten Buddy von Kopf bis Fuß gepackt. Er sah den Geist über sich an, während ihm Tränen über die Wangen liefen.
Tut mir leid, dachte er. Kann mich nicht konzentrieren. Will nicht...
Gelächter schüttelte ihn.
... hättest mich nicht bitten sollen, mich zu erinnern.
»Einen Augenblick!« sagte Fletcher. »Mehr brauche ich nicht.«
Zu spät. Das Leben wich aus ihm, und für Fletcher blieben nur Rauchgebilde zurück, die so schwach waren, daß er sie nicht gegen den Jaff einsetzen konnte.
»Verflucht!« sagte Fletcher und schrie den Leichnam an, wie er - vor so langer Zeit - einmal Jaffe angeschrien hatte, als dieser auf dem Boden der Misión de Santa Catrina lag.
Diesmal konnte er kein Leben aus dem Leichnam pressen.
Buddy war nicht mehr. Sein Gesicht hatte einen Ausdruck, der tragisch und komisch zugleich war, und das war nur mehr als recht. So hatte er sein Leben gelebt. Und mit seinem Tod hatte er Palomo Grove eine Zukunft gesichert, in der es von solchen Widersprüchen wimmelte.
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4
In den nächsten Tagen sollte die Zeit zahllose Tricks im Grove anwenden, aber sicher war keiner so frustrierend für das Opfer wie die Zeitspanne zwischen Howies Abschied von Jo-Beth und dem Augenblick, da er sie wiedersehen sollte. Die Minuten dehnten sich zu Stunden; die Stunden schienen so lange, als könnte man eine Generation hervorbringen. Er lenkte sich ab, so gut es ging, indem er nach dem Haus seiner Mutter suchte.
Schließlich war er mit dieser Absicht hierhergekommen: seine eigene Natur besser zu verstehen, indem er sich eingehender mit dem Stammbaum der Familie auseinandersetzte. Bisher hatte er die Verwirrung freilich nur noch vertieft. Er hatte nicht gedacht, daß er zu Empfindungen wie gestern abend fähig war
- die er jetzt nur noch stärker empfand. Diese brausende, unvernünftige Überzeugung, daß alles auf der Welt gut war und niemals schlecht gemacht werden konnte. Die Tatsache, daß die Zeit so schleppend verging, konnte seinen Optimismus nicht dämpfen; es war lediglich ein Spiel, das die Wirklichkeit mit ihm spielte, um die absolute Autorität seiner
Empfindungen zu bestätigen.
Und zu diesem Trick kam ein weiterer, noch subtilerer. Als er zum Haus kam, in dem seine Mutter gelebt hatte, war es auf fast übernatürliche Weise unverändert, genau wie auf den Fotos, die er davon gesehen hatte. Er stand mitten auf der Straße und betrachtete es. Es herrschte kein Verkehr, und kein Fußgänger war unterwegs. Diese Ecke des Grove verharrte in vormittäglicher Trägheit, und ihm war beinahe zumute, als könnte seine Mutter, wieder zum Kind geworden, am Fenster erscheinen und
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