Jenseits des Bösen
Luis jetzt geführt wurde. Der Boden unter seinen Füßen war rissig, und die Risse wurden breiter, während der Polizist ihn zum Chief führte, der den Boden betrachtete.
Jose Luis wußte lange bevor er zu der Stelle kam, was vor ihm lag. Der Riß in der Straße und die Risse, über die er gegangen war, waren die Folge einer größeren Katastrophe: einer drei 165
Meter breiten Spalte, die in alles verschlingende Dunkelheit hinabführte.
»Was will der hier?« wollte der Chief wissen und deutete auf Luis. »Die Sache soll geheim bleiben.«
»Buddy Vance«, sagte der Polizist zu ihm.
»Was ist mit dem?«
»Er wird vermißt«, sagte Luis.
»Er war joggen...«, erklärte der Polizist.
»Lassen Sie ihn erzählen«, sagte der Chief.
»Er läuft hier jeden Morgen. Aber heute ist er nicht
zurückgekommen.«
»Buddy Vance?« sagte der Chief. »Der Komiker?«
»Ja.«
Der Chief sah von Jose Luis weg in die Spalte.
»Großer Gott«, sagte er.
»Wie tief?« fragte Jose Luis.
»Hm?«
»Die Spalte.«
»Das ist keine Spalte. Das ist ein verdammter Abgrund. Ich habe vor einer Minute einen Stein hinuntergeworfen. Ich warte immer noch darauf, daß er unten ankommt.«
Die Erkenntnis, daß er allein war, dämmerte Buddy langsam, wie eine Erinnerung, die aus dem Schlick auf dem Grund seines Gehirns aufgewirbelt wurde. Er hielt es sogar zuerst für eine Erinnerung, die an einen Sandsturm, in den er während seiner dritten Flitterwochen in Ägypten einmal geraten war.
Aber in diesem Mahlstrom war er, anders als damals, verirrt und ohne Führer. Und es war kein Sand, der seinen Augen stechend das Sehvermögen wiedergab, und auch kein Wind, der ihm mit seinem Tosen die Ohren öffnete. Es war eine völlig andere Urgewalt, die nicht so natürlich wie ein Sturm war und, wie kein Sturm zuvor, hier in diesem Schacht aus Fels festgehalten wurde. Er sah das Loch, in das er gestürzt war, 166
zum erstenmal, es erstreckte sich über ihm zu einem Himmel ohne Sonne, der so weit entfernt war, daß er Buddy nicht trösten konnte. Welche Gespenster diesen Ort auch immer heimsuchen wollten und sich gerade vor seinen Augen
manifestierten, sie stammten ganz bestimmt aus einer Zeit, bevor die menschliche Rasse ein Funkeln im Auge der
Evolution gewesen war. Ehrfurchtgebietende einfache Wesen; Mächte aus Feuer und Eis.
Er lag gar nicht so falsch; und doch auch wieder
vollkommen falsch. Die Gestalten, die wenige Meter von ihm entfernt aus der Dunkelheit hervorkamen, glichen eben noch Menschen wie ihm, und im nächsten Augenblick waren sie unbändige Energien, die wie Champions in einem Krieg der Schlangen, welche ihre Völker geschickt hatten, damit sie sich gegenseitig erwürgten, umeinander geschlungen waren. Die Vision belebte seine Nerven ebenso wie die Sinne. Die Schmerzen, die ihm bisher erspart geblieben waren, drangen in sein Bewußtsein, das Rinnsal wurde zuerst zum Bach und dann zur Sturzflut. Ihm war, als läge er auf Messern, deren Klingen zwischen seine Rückenwirbel schnitten und die Eingeweide aufspießten.
Er war zu schwach, um auch nur zu stöhnen, und konnte nur ein stummer, leidender Zeuge des Schauspiels vor ihm sein; und er konnte nur hoffen, daß Rettung oder der Tod schnell kamen und ihn aus seinem Schmerz erlösten. Am besten der Tod, dachte er. Ein gottloser Hurensohn wie er durfte nicht auf Erlösung hoffen, es sei denn, die heiligen Bücher irrten sich und Ehebrecher, Trunkenbolde und Gotteslästerer kamen ins Paradies. Lieber der Tod; aus und vorbei. Der Witz war vorüber.
Ich will sterben, dachte er.
Kaum hatte er diese Absicht gedacht, wandte sich ihm eine der vor ihm kämpfenden Wesenheiten zu. Er sah ein Gesicht in dem Sturm. Es war bärtig, die Gesichtszüge so voller
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Emotionen, daß der zugehörige Körper zwergenhaft wie der eines Fötus wirkte: aufgeblähter Schädel, hervorquellende Augen. Buddys Entsetzen, als es ihn ansah, war nichts verglichen mit dem, als es die Arme nach ihm ausstreckte. Er wollte sich in eine Nische verkriechen und den Fingern des Geistes entkommen, aber sein Körper ließ sich weder durch Lockungen noch durch Drohungen dazu bewegen.
»Ich bin der Jaff«, hörte er den bärtigen Geist sagen. »Gib mir deinen Verstand, ich will Terata.«
Als die Fingerspitzen über Buddys Gesicht strichen, spürte er, wie reine Energie, so weiß wie ein Blitz, Kokain oder Samen, durch seinen Kopf in den Körper floß. Und damit kam die Erkenntnis, daß er einen Fehler gemacht hatte.
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