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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Ich habe gebetet, unsichtbar zu sein, damit er mich nicht sehen kann.«
    Howie nahm die Brille ab und warf sie aufs Bett.
    »Ich habe dir nicht gesagt, warum ich hierhergekommen bin, oder?« sagte er. »Ich glaube... glaube... glaube, es wird Zeit da-für. Ich bin hergekommen, weil ich nicht die leiseste Ahnung habe, wer oder was ich bin. Ich wollte alles über den Grove herausfinden, und warum meine Mutter vertrieben wurde.«
    »Und jetzt wünschst du dir, du wärst nie gekommen.«
    »Nein. Wenn ich nicht gekommen wäre, hätte ich dich nicht kennengelernt. Hätte mich nicht... nicht... nicht... verliebt.«
    »In jemanden, der möglicherweise deine Schwester ist?«
    Der verkniffene Gesichtsausdruck wurde weicher. »Nein«, sagte er. »Das kann ich nicht glauben.«
    »Ich habe dich in dem Augenblick erkannt, als ich Butrick's betreten habe. Du hast mich auch erkannt. Warum?«
    »Liebe auf den ersten Blick.«
    »Schön wär's.«
    »Das empfinde ich. Und du empfindest es auch. Ich weiß es.
    Du hast es selbst gesagt.«
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    »Das war vorher.«
    »Ich liebe dich, Jo-Beth.«
    »Das kannst du nicht. Du kennst mich überhaupt nicht.«
    »Doch! Und ich werde nicht wegen einer Vermutung aufgeben. Wir wissen nicht, ob das alles stimmt.« Sein Stottern ging in dem heftigen Ausbruch völlig unter. »Es könnten alles Lügen sein, richtig?«
    »Möglich«, gab sie zu. »Aber warum sollte jemand so eine Geschichte erfinden? Warum haben uns unsere Mütter nie gesagt, wer unsere Väter waren?«
    »Wir werden es herausfinden.«
    »Von wem?«
    »Frag deine Mama.«
    »Das habe ich schon versucht.«
    »Und?«
    »Sie hat mir gesagt, ich solle nicht in deine Nähe gehen.
    Nicht einmal an dich denken...«
    Ihre Tränen waren getrocknet, während sie die Geschichte erzählt hatte. Jetzt flossen sie wieder, als sie an Mama dachte.
    »Aber ich kann es doch nicht unterdrücken, oder?« sagte sie und wandte sich damit genau an den um Hilfe, mit dem ihr der Umgang verboten worden war.
    Als er sie ansah, wünschte sich Howie, er wäre der heilige Narr, als den Lem ihn immer bezeichnet hatte. Er wollte die Redefreiheit haben, die nur Idioten, Tieren und Babys zugestanden wird; er wollte mit ihr schmusen und sie lecken und nicht weggestoßen werden. Es war nicht auszuschließen, daß sie tatsächlich seine Schwester war, aber seine Libido setzte sich über Tabus hinweg.
    »Ich sollte besser gehen«, sagte sie, als könnte sie seine Erregung spüren. »Mama will mit dem Pastor reden.«
    »Vielleicht ein paar Gebete sprechen, damit ich wieder verschwinde, meinst du?«
    »Das ist nicht fair.«
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    »Bitte bleib noch eine Weile«, flehte er. »Wir müssen nicht reden. Wir müssen gar nichts machen. Bleib einfach.«
    »Ich bin müde.«
    »Dann schlafen wir.«
    Er streckte die Hand aus und berührte ganz sanft ihr Gesicht.
    »Wir haben gestern nacht beide nicht ausreichend
    geschlafen«, sagte er.
    Sie seufzte und nickte.
    »Vielleicht klärt sich alles auf, wenn wir es einfach dabei be-wenden lassen.«
    »Das hoffe ich.«
    Er entschuldigte sich und ging ins Bad, um die Blase zu leeren. Als er zurückkam, hatte sie die Schuhe ausgezogen und lag auf dem Bett.
    »Platz für zwei?« sagte er.
    Sie murmelte eine Zustimmung. Er legte sich neben sie und versuchte, nicht an das zu denken, was sie in seiner Vorstellung zwischen diesen Laken machen würden.
    Sie seufzte wieder.
    »Alles wird gut«, sagte er. »Schlaf jetzt.«

    2

    Als Grillo wieder in den Wald kam, war der Großteil des Publikums von Buddy Vance' letztem Auftritt weggegangen. Offenbar waren sie zu dem Ergebnis gekommen, daß es sich nicht lohnte, auf ihn zu warten. Und da die Schaulustigen sich verzogen hatten, waren die Wachen an den Absperrungen nachlässig geworden. Grillo trat über das Seil und ging auf den Polizisten zu, der den Einsatz zu leiten schien. Er stellte sich vor und er-klärte, was er machte.
    »Ich kann Ihnen nicht viel erzählen«, sagte der Mann als Antwort auf Grillos Frage. »Wir haben mittlerweile vier 190
    Bergsteiger unten, aber Gott allein weiß, wie lange es dauern kann, bis die Leiche hochgebracht wird. Wir haben sie noch nicht einmal gefunden. Und Hotchkiss hat uns gesagt, daß dort unten alle möglichen unterirdischen Flüsse sind. Der Leichnam könnte inzwischen in den Pazifik gespült worden sein.«
    »Arbeiten Sie die Nacht durch?«
    »Sieht so aus, als müßten wir das.« Er sah auf die Uhr. »Es wird schätzungsweise noch vier Stunden hell sein. Dann

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