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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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wartete, während sich die Frau nach oben begab.
    Wie außen, so innen: ein Tempel des Spaßes. Jeder
    Zentimeter der Diele war mit Bildern aller möglichen
    Jahrmarktsattraktionen behängt: leuchtend bunte Werbeplakate für Liebestunnel, Geisterbahnen, Karussells,
    Kuriositätenkabinette, Ringen, Achterbahnen und mystische Schaukeln. Die Ausführung war größtenteils ungeschlacht - die Arbeit von Künstlern, die genau wußten, daß sie ihre Kunst in den Dienst des Rummels gestellt hatten, was Unsterblichkeit ausschloß. Eingehende Betrachtung schmeichelte den
    Abbildungen nicht; ihre bunte Auffälligkeit sollte besser im Strom einer Menschenmenge bewundert werden, nicht unter einem Scheinwerfer. Das hatte auch Vance gewußt. Darum 201
    hatte er die Bilder so dicht nebeneinander gehängt, damit das Auge schnellstmöglich von einem zum nächsten gezogen
    wurde und nicht zu lange auf Einzelheiten verweilen konnte.
    Die Ausstellung, so vulgär sie war, brachte Grillo zum Lächeln, was zweifellos Vance' Absicht gewesen war, ein Lächeln, das verschwand, als Rochelle Vance oben auf der Treppe erschien und langsam herunterkam.
    Er hatte in seinem ganzen Leben noch kein makelloseres Gesicht gesehen. Er rechnete bei jedem Schritt, den sie näher kam, damit, daß er einen Makel finden würde, aber er fand keinen. Er vermutete, daß sie karibischer Herkunft war, denn ihre dunklen Züge waren sanft. Sie hatte das Haar straff zurückgekämmt, was die Stirn und die symmetrischen Brauen betonte. Sie trug keinen Schmuck und nur ein schlichtes schwarzes Kleid.
    »Mr. Grillo«, sagte sie. »Ich bin Buddys Witwe.« Das Wort hätte trotz der Farbe ihres Kleides nicht unangebrachter sein können. Dies war keine Frau, die von einem tränendurchnäßten Kissen aufgestanden war. »Womit kann ich Ihnen dienen?«
    fragte sie.
    »Ich bin Journalist...«
    »Das hat Ellen mir gesagt.«
    »Ich wollte mich nach Ihrem Mann erkundigen.«
    »Es ist etwas spät.«
    »Ich war fast den ganzen Nachmittag über im Wald.«
    »O ja«, sagte sie. »Sie sind der Mr. Grillo.«
    »Pardon?«
    »Einer der Polizisten...« Sie wandte sich an Ellen. »Wie hieß er?«
    »Spilmont.«
    »Spilmont. Er war hier und informierte mich, was geschehen ist. Er erwähnte Ihren großen Heldenmut.«
    »So groß war er gar nicht.«
    »Ausreichend, daß Sie sich eine nächtliche Ruhe verdient 202
    hätten«, sagte sie. »Anstatt zu arbeiten.«
    »Ich hätte gerne die Story.«
    »Ja. Nun, kommen Sie herein.«
    Ellen machte eine Tür links in der Diele auf. Während Rochelle Grillo hineinbegleitete, legte sie die Grundregeln fest.
    »Ich werde Ihre Fragen so gut ich kann beantworten, so lange sie Buddys Beruf betreffen.« Sie sprach ohne Akzent.
    Möglicherweise eine europäische Ausbildung? »Ich weiß nichts über seine anderen Frauen, also sparen Sie sich die Mühe. Und ich werde auch nicht über seine Süchte spekulie-ren. Möchten Sie Kaffee?«
    »Das wäre mir sehr recht«, sagte Grillo und stellte fest, daß ihm wieder passierte, was so oft bei Interviews vorkam: daß er den Tonfall seines Gesprächspartners nachahmte.
    »Kaffee für Mr. Grillo, Ellen«, sagte Rochelle und bat ihren Gast, sich zu setzen. »Und Wasser für mich.«
    Das Zimmer, das sie betreten hatten, ging über die ganze Länge des Hauses und war zwei Stockwerke hoch; das zweite wurde von einer Galerie gebildet, die an allen vier Wänden verlief. Auch diese waren, wie in der Diele, ein gemaltes Tohuwabohu. Einladungen, Verführungen und Warnungen
    rangen um seine Aufmerksamkeit. ›Die Fahrt Ihres Lebens!‹
    verkündete ein Plakat bescheiden. ›Soviel Spaß, wie Sie aushalten können!‹ verkündete ein anderes, ›und noch mehr!‹
    »Das ist nur ein Teil von Buddys Sammlung«, sagte
    Rochelle. »In New York hat er noch mehr. Ich glaube, es ist die größte private Sammlung.«
    »Ich wußte nicht, daß überhaupt jemand so etwas sammelt.«
    »Buddy hat es die wahre Kunst Amerikas genannt. Was einiges sagt...« Sie verstummte; ihr Mißfallen an dem grellbunten Sammelsurium war offensichtlich. Der Ausdruck hatte auf diesem Gesicht, das keinerlei gestalterische Makel aufwies, einigen Nachdruck.
    »Ich nehme an, Sie werden die Sammlung veräußern«, sagte 203
    Grillo.
    »Das kommt auf das Testament an«, sagte sie. »Möglicherweise gehört sie gar nicht mir; dann kann ich sie auch nicht verkaufen.«
    »Sie verbinden keinerlei sentimentale Erinnerungen damit?«
    »Ich schätze, das gehört in die Rubrik

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