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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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ihn zu finden, sowieso gering. Das Risiko lohnt sich nicht.«
    »Bekümmert Sie das?«
    »Daß ich keinen Leichnam zu begraben habe? Nein,
    eigentlich nicht. Besser, man erinnert sich an ihn, wie er lachte, als einen Leichnam aus einem Erdloch zu hieven. Sie sehen, hier ist Ihre Geschichte zu Ende. Sie werden in Hollywood einen Gedenkgottesdienst für ihn abhalten. Der Rest ist, wie 206
    man so sagt, Fernsehgeschichte.« Sie stand auf und beendete das Interview damit. Grillo hatte noch jede Menge Fragen, die er nicht gestellt hatte, die meisten aus dem Gebiet, über das sie freiwillig sprechen wollte: seinen Beruf. Er wußte, es gab ein paar Löcher, die Tesla nicht stopfen konnte. Aber er
    verzichtete darauf, um die Geduld der Witwe Vance nicht über Gebühr zu strapazieren. Sie hatte ihm mehr gesagt, als er erwartet hatte.
    »Vielen Dank, daß Sie mich empfangen haben«, sagte er und schüttelte ihr die Hand. Ihre Finger waren so dünn wie Zweige.
    »Sie waren sehr freundlich.«
    »Ellen bringt Sie hinaus«, sagte sie.
    »Danke.«
    Das Mädchen wartete in der Diele. Als sie die Tür
    aufmachte, berührte sie Grillo am Arm. Er sah sie an. Sie schüttelte den Kopf und drückte ihm ein Stück Papier in die Hand. Dann drängte sie ihn ohne ein weiteres Wort auf die Stufe hinaus und machte die Tür hinter ihm zu.
    Er wartete, bis er die Reichweite der Videokameras hinter sich gelassen hatte, bis er den Zettel las. Der Name der Frau stand darauf - Ellen Nguyen - und eine Adresse in Deerdell Village. Buddy Vance mochte begraben bleiben, aber seine Geschichte, so schien es, grub sich noch an die Oberfläche.
    Grillo wußte aus Erfahrung, daß Geschichten das so an sich hatten. Er war der festen Überzeugung, daß nichts, absolut nichts, geheim bleiben konnte, wie nachdrücklich die daran interessierten Parteien es auch vertuschen mochten.
    Verschwörer mochten sich verschwören und Schurken
    versuchen zu knebeln, aber früher oder später zeigte sich die Wahrheit oder ein Zerrbild davon, in der unwahrscheinlichsten Form. Es waren selten unumstößliche Tatsachen, die das Leben hinter der Fassade ans Licht brachten. Es waren Gerüchte, Graffiti, Cartoons und Liebeslieder. Es war, was die Leute in ihre Tassen murmelten oder zwischen Ficks oder an einer 207
    Klowand lasen.
    Die Kunst aus dem Untergrund stieg empor, wie die Gestalten, die er in der Sturzflut gesehen hatte, um die Welt zu verändern.
    208
    II

    Jo-Beth lag im Dunkeln auf dem Bett und sah zu, wie der Wind die Vorhänge abwechselnd bauschte und dann in die Nacht hinauszog. Sie hatte, sobald sie zu Hause war, mit Mama gesprochen und ihr gesagt, daß sie Howie nicht wiedersehen würde. Es war ein hastig gegebenes Versprechen gewesen, aber sie bezweifelte, ob Mama es überhaupt gehört hatte. Sie war geistesabwesend, ging in ihrem Zimmer auf und ab, rang die Hände und murmelte Gebete vor sich hin. Die Gebete
    erinnerten Jo-Beth daran, daß sie versprochen hatte, den Pastor anzurufen, es aber nicht getan hatte. Sie nahm sich, so gut es ging, zusammen, ging nach unten und rief in der Kirche an.
    Aber Pastor John war nicht da; er war weggegangen, um Angelie Datlow zu trösten, deren Mann Bruce beim Versuch, Buddy Vance' Leichnam zu bergen, ums Leben gekommen
    war. So hörte Jo-Beth zum erstenmal von der Katastrophe. Sie beendete die Unterhaltung und legte den Hörer zitternd auf. Sie brauchte keine detaillierte Beschreibung der Unglücksfälle. Sie hatte sie gesehen, und Howie auch. Ihr gemeinsamer Traum war von einem Live-Bericht aus dem Schacht unterbrochen worden, wo Datlow und seine Kollegen gestorben waren.
    Sie saß in der Küche, wo der Kühlschrank summte und die Vögel und Insekten im Garten fröhliche Musik machten, und versuchte, das Unergründliche zu ergründen. Vielleicht hatte sie an eine allzu optimistische Version der Welt geglaubt, aber sie war bisher mit der Gewißheit durchs Leben gegangen, daß es Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung gab, die alles verstanden, was sie persönlich nicht verstand. Es war tröstlich, das zu wissen. Jetzt war sie nicht mehr so sicher. Wenn sie jemandem von der Kirche, aus der sich der größte Teil ihres Bekanntenkreises rekrutierte, erzählte, was im Motel
    geschehen war - der Traum vom Wasser, der Traum vom Tod -
    würden sie das sagen, was Mama gesagt hatte: Es war das 209
    Wirken des Teufels. Als sie das zu Howie gesagt hatte, hatte er geantwortet, daß sie das selbst nicht glaubte, und damit hatte er recht

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