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Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audur Jónsdóttir
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sie sprach. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie Fatima in ihr Herz geschlossen und war entsetzt, als sie erfuhr, dass Fatima Geld sparte, um mit einem Schlepperboot nach Spanien zu fahren. Voller Mitleid und Schrecken stellte sie sich vor, wie diese Unglücksfahrt Fatima entweder ins Gefängnis bringen oder tot an einen der spanischen Badestrände anspülen würde – also rief sie einen guten Freund an, einen Dänen, der mit seinem Wohnmobil demnächst die Fähre nach Spanien nehmen wollte. Sie bat ihn, etwas mitzunehmen. Das ist ein anständiger Mann, ich kenne ihn schon lange, ihm kann ich dich guten Gewissens anvertrauen, sagte sie voller Überzeugung und drückte Fatima ein Geldbündel in die Hand, damit sie die Reise nach Barcelona bezahlen konnte.
    Der Däne erwies sich als wohlhabender Hippie-Maler, der Fatima sagte, sie solle ihr Geld behalten, während er über die spanischen Straßen bretterte. Großgewachsen mit feuerrotem Vollbart redete er den ganzen Weg von der Schönheit des Lebens und schmatzte genüsslich Worte wie ›Gänsepopo‹ oder ›Zuckerwaffel‹ hervor, wenn er eine hübsche Frau sah. Dazu hüpfte seine verspiegelte Brille auf der breiten Nase. Schließlich hielt das Wohnmobil an der Plaça de Catalunya, und Fatima stand wie benommen in der Touristenmenge, mit einer Adresse auf einem zerknitterten Zettel in der Tasche. Irgendwo dort, in dieser Stadt, hatte sie Verwandte. Clevere Leute, die es geschafft haben, auf legalem Weg Westeuropäer zu werden. Vielleicht würde ihr das auch gelingen.
    Eine Geschichte wird umso besser, je öfter sie erzählt wird – wie aufgewärmte Suppe, sagte Arndís, als Fatima den Kuskus in eine Schüssel füllte, Fleisch und Gemüse hinzugab, alles mit dem Sud übergoss und uns aufforderte, ordentlich zuzulangen. Was wir auch taten, nachdem wir mit Fruchtsaft angestoßen hatten. Wir redeten, lachten, schmatzten vor Genuss. Fatima hatte großen Spaß daran, uns beim Essen zuzusehen. Es ging eine Milde von ihr aus, als seien Körper und Seele jahrelang in Olivenöl mariniert worden. Dann und wann lachte sie dieses hüpfende, dunkle Lachen. Dass ich einmal eifersüchtig auf sie gewesen war, hatte ich schnell vergessen. Sie war achtzehn oder neunzehn Jahre alt und doch hundert Jahre älter als Arndís und ich: Zwei aufmerksamkeitssüchtige Kinder im Wettkampf um ihr Wohlwollen.
    Der Abwasch musste warten, stattdessen gingen wir in unser Zimmer und fingen an, die Designerklamotten anzuprobieren. Fatima ließ die Augen durch das Zimmer schweifen, zeigte dann auf ein Foto auf dem Nachttisch und fragte, wer die Frau darauf sei. Arndís seufzte, als ich antwortete, dass das meine Mutter sei, aber Fatima ging einen Schritt auf das Bild zu und strich mit dem Finger darüber, während ich sagte, dass die beiden sich sicher gut verstehen würden, falls sie sich je einmal trafen. Mama konnte nämlich eine ausgezeichnete Fleischsuppe kochen, die ihrem Kuskus gar nicht so unähnlich war, dann könnten wir noch einmal so ein Abendessen machen, sobald sie nach Barcelona käme.
    Arndís hatte währenddessen angefangen, Sachen für uns auszusuchen, und rief mich zu sich. Sie reichte mir ein sehr leichtes, grünkariertes Kleid und einen weiten Rock, ich zog beides an und strich es glatt. Drehte mich im Kreis, so dass der Rock hochwirbelte. Blieb stehen, als Fatima fragte: Träumt ihr von Island, wenn ihr schlaft?
    Keine von uns antwortete. Arndís begann, mich für ein Foto zurechtzumachen, ich stand ganz still da, doch Fatima setzte sich auf eins der Sitzkissen, stützte das Kinn auf die Fäuste und kniff die Augen zusammen. Sah die Balken an und sagte: Meine Träume spielen in Marokko. Trotz allem, ja, in der Nacht bin ich dort. Da reden Mama und ich miteinander, als ob alles wäre wie früher. Findet ihr das nicht komisch?
    Sie sah uns an.
    Doch, sagten wir. Nachdem Arndís mich fertig gestylt hatte, drehte ich mich noch ein, zwei Mal herum und tanzte, während sie mich blitzend fotografierte und ich von einem Kleid ins andere schlüpfte. Fatima ließ es langsamer angehen. Wandte sich von uns ab, als sie sich anzog, vielleicht schämte sie sich für ihre Fettpölsterchen. Doch schließlich warf auch sie sich in Pose, in einem zitronengelben Sommerkleid mit Blümchen an den Trägern, das Arndís ihr im Überschwang schenkte. Sie spielte mit uns wie mit Puppen.
    *
    Ich finde mich in einem Büro wieder, vor mir ein Schreibtisch, ein Computer, ein Taschenrechner. Die Wände sind

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