Jenseits des Mondes
lächeln.
»Du tust es sowieso nicht. Damit setzt du das Leben deiner Eltern aufs Spiel«, verkündete sie mit einem ekelhaft siegessicheren Lächeln im Gesicht. Aber ich sah Zweifel in ihren Augen aufflackern.
»Glaubst du wirklich? Du irrst dich. Meine Eltern haben mir selbst gesagt, ich soll es tun.«
Ich schwang die Sense, und die Spitze traf Rumiel mitten ins Herz. Eine nicht enden wollende Sekunde lang starrte sie mich an, als könne sie nicht fassen, dass ich es tatsächlich getan hatte. Als sie auf den mit Heu bedeckten Boden der Scheune stürzte, wo das Leben langsam aus ihrem Körper wich, ergriffen ihre Gefolgsleute die Flucht.
Nie hätte ich gedacht, dass ich zu so einer Tat fähig wäre. Trotz der Prophezeiung und allem, was auf dem Spiel stand.
Aber ich hatte es getan. Ich hatte eine Gefallene getötet. Endlich fühlte ich mich wahrhaftig wie die Auserwählte – ob mir das nun gefiel oder nicht.
Neununddreißig
W o warst du denn? Ich musste mich fast prügeln, um dir einen Platz freizuhalten. Das Spiel hat schon angefangen«, sagte Ruth, als ich mich neben sie auf die überfüllte Tribüne fallen ließ.
»Das willst du gar nicht wissen«, antwortete ich, und das war nicht nur so dahergesagt. Ich hatte nicht die geringste Absicht, der ohnehin schon völlig verstörten Ruth von Rumiel zu erzählen, zumal besagte Rumiel ernsthaft mit dem Gedanken gespielt hatte, Ruth zu kidnappen, um mich mit ihr zu erpressen. Oder Schlimmeres.
Fast hätte ich es mir anders überlegt und wäre gar nicht zum Spiel gekommen. Nachdem ich zugesehen hatte, wie der letzte Tropfen Blut aus Rumiels übermenschlichem Körper sickerte – ich hatte hundertprozentig sichergehen wollen, dass sie auch wirklich tot war –, kam es mir geradezu grotesk vor, sich um etwas Belangloses wie das Finale der State-Meisterschaften im Football zu scheren. Außerdem widerstrebte es mir, meine Eltern in der Obhut der verbliebenen Gefallenen des Lichts zurückzulassen. Sie hatten schon einmal versagt. Wie konnte ich sicher sein, dass sie ihre Sache diesmal besser machen würden?
Andererseits wollte ich nach Rumiels Drohung Ruth nicht aus den Augen lassen. Und ich verspürte den unwiderstehlichen Drang, in Michaels Nähe zu sein, auch wenn ich ihn nur von der Tribüne aus sehen konnte. Es musste einfach sein.
Ruth war anzusehen, dass sie vor lauter Fragen fast platzte. Sie hatte ein Recht auf Antworten. Auch ihr Leben stand auf dem Spiel, und sie wusste es. Zum Glück hatte die Partie bereits begonnen, und der ohrenbetäubende Lärm der Fans machte jedes Gespräch unmöglich. Ich hatte andere Dinge zu tun.
Ich musste mich auf das Stadion konzentrieren. Nicht das Feld, wo das Spiel in vollem Gange war, sondern die Tribünen, wo unsichtbare Gefahren lauern konnten. Immer wieder musste ich an das denken, was die arme Tamiel gesagt hatte. Sie hatte mich gewarnt, dass den Gefallenen jedes Mittel recht wäre, um mich ihrem Willen zu unterwerfen. Sie würden nicht mal davor zurückschrecken, eine ganze Menschenmenge als Geisel zu nehmen. Ich durfte nicht zulassen, dass meine Mitschüler in Gefahr gerieten, nur weil ich so leichtsinnig gewesen war, zu einem Footballspiel zu kommen. Man denke nur daran, was meinen Eltern um ein Haar widerfahren wäre.
Mein Blick war fest auf die Zuschauerränge geheftet. Ich sah massenweise Eltern und Schüler beider Schulen, die ihre jeweilige Mannschaft anfeuerten. Ich sah ein Grüppchen Elft- und Zwölftklässler, die heimlich Bier tranken. Ein Pärchen knutschte in einer dunklen Ecke, so ähnlich, wie Michael und ich es früher gemacht hatten.
Ich konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Nichts Übernatürliches .
Als ich meine Aufmerksamkeit für einen Moment wieder dem Spiel zuwandte, sah ich, dass Coach Samuel eine Auszeit genommen hatte. Seine Spieler hatten sich an der Seitenlinie um ihn geschart und lauschten aufmerksam seinen Anweisungen. Das Ganze war ein völlig normaler Vorgang, und ich wollte mich gerade wieder auf die Zuschauer konzentrieren, als ich den Ausdruck in Michaels Gesicht sah. Der nächste Spielzug, den der Trainer ihnen erläuterte, schien ihm ganz und gar nicht zu behagen.
Der Pfiff des Schiedsrichters signalisierte das Ende der Auszeit, und Michael riss sich zusammen. Die Spieler klatschten einmal in die Hände, dann liefen sie zurück aufs Spielfeld. Der Coach gab Michael einen letzten ermutigenden Klaps auf die Schulter.
Ich konnte den Blick nicht von Michael losreißen, als
Weitere Kostenlose Bücher