Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
noch schlimmer machen. Len war immer ihr erklärter Liebling. Wobei, natürlich, ich meine, deinetwegen sollte ich vielleicht doch alles ans Licht ...« Er machte eine hilflose Geste in ihre Richtung, doch Grace schüttelte den Kopf. »Nein, Tommy. Lass nur. Es ist gut so, wie es ist.«
Als er gegangen war, trat Grace in den Salon und sah durch die geöffneten Türen hinab in den Garten, in dem sich ihre Familie unter der großen Eiche versammelt hatte, während um sie herum eine Schar junger Hunde bellend Fangen spielte und Sal und Pip müßig in der Sonne lagen.
Der Colonel saß auf einem Stuhl, den Stock an den Tisch gelehnt und den betagten Henry zu seinen Füßen, und lauschte seinem ältesten Enkelsohn Matthew, der sich auf das Knie seines Großvaters stützte und seinen Großeltern gerade etwas erzählte. Ihr Sohn, Grace’ und Jeremys, den sie bereits bei ihrer Rückkehr aus Cairo in sich getragen hatte. Ein stiller, ein ernsthafter Junge, der eines Tages einmal Shamley Green und den Titel eines Baronets erben würde. Durch eine Laune der Natur hatte er zwar dasdunkle Haar und die schweren Züge seines Vaters geerbt, aber die hellblauen Augen seines Großvaters, die zuvor eine Generation übersprungen hatten. Ein Junge mit einem großen Herzen war er. Grace konnte sich noch lebhaft daran erinnern, als sie ihm einmal, da mochte er vielleicht gerade drei gewesen sein, die Schuhe zugebunden hatte und er lang gezogen fragte: Mamaaaa ... Warum riecht der Onkel Stevie manchmal so komisch? Grace’ Herz hatte einen Schlag ausgesetzt, dann hatte sie ihren Sohn in die Arme genommen und ihm erklärt, dass Onkel Stevie im Krieg gewesen war, zusammen mit Papa und Onkel Roy, und dabei so schwer gestürzt war, dass etwas in ihm kaputtgegangen sei; seither müsse er Windeln tragen, so wie Matthew vor nicht allzu langer Zeit und so wie sein kleiner Bruder William jetzt, aber während sie beide dem entwuchsen, würde das bei ihrem Onkel immer so bleiben. Matthew hatte lange nachdenklich auf seiner vollen Unterlippe gekaut, dann auf dem Absatz kehrtgemacht und war davongespritzt. Als Grace ihn suchen gegangen war, hatte sie von hier aus, von der Tür zum Garten, gesehen, wie Matthew erst auf die Gartenbank geklettert und von dort in den Rollstuhl hinübergestiegen war, um sich auf Stephens Schoß zu setzen, die Ärmchen fest um den Hals seines Onkels geschlungen.
Es rührte Grace an, wie liebevoll der Colonel seinem Enkel über den glatten, schweren Schopf strich, während er ihm zuhörte, wie dicht ihre Mutter ihren Stuhl an den des Colonels gerückt hatte und wie zärtlich ihre Finger auf dessen Oberarm ruhten. Ihr zweiter Sohn, der kleine William, bei dem nicht nur in dem weizenblonden Haar und den braunen Augen, den feinen, fast schon engelsgleichen Zügen, sondern auch in der Wildheit das irische Erbe der Shaw-Stewarts durchschlug, saß ausnahmsweise einmal brav auf dem Schoß seiner Großmutter Sarah Danvers, die mit ihm zusammen ein Bilderbuch durchblätterte. Das Angebot, ein Zimmer auf Shamley Green zu beziehen, hatte sie freundlich, aber bestimmt abgelehnt und sich dafür von ihrer bescheidenen Witwenrente eine kleine Wohnung in Guildford genommen, von wo aus sie aber fast jeden Tag nach Shamley herüberfuhr.
Auf dicken Beinchen in kurzen Hosen stand Nathaniel Simon Roderick Ashcombe im Gras und zeigte mit einem begeisterten Ausruf irgendwohin im Garten, wo er offenbar gerade etwas Spannendes entdeckt hatte. Mit gerade einmal fünfeinhalb Jahren bereits Viscount Amory, war er ein stets gut gelaunter, charmanter kleiner Kerl mit hinreißenden Grübchen in dem pausbäckigen Gesicht und mit den bernsteinfarbenen Augen und dem dunkelbraunen Haar seines Vaters. Allerdings hatte er nichts als Unfug im Kopf, sobald er mit seinen Cousins von Shamley Green zusammen war. Eine ihrer liebsten Vergnügungen bestand darin, sich abwechselnd auf dem Schoß ihres Onkels Stevie durch den Garten kutschieren zu lassen, während die anderen beiden nebenherliefen und warteten, bis sie an der Reihe waren.
Manchmal, wenn Adas Blick auf Nathaniel ruhte, war ihr die Verwunderung darüber anzusehen, wie ihr schmaler, mädchenhafter Leib einen für sein Alter so großen und kraftstrotzenden Jungen hatte hervorbringen können. Die kleine Fiona hingegen, nach ihrer irischen Ururgroßmutter benannt, die in einem Rüschenkleidchen auf dem Schoß ihres Vaters thronte, war Ada wie aus dem Gesicht geschnitten; klein und zart und mit riesigen
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