Jenseits des Protokolls
Minute aber hat er geglaubt, dass daran auch nur ein Fünkchen Wahrheit ist. Dafür haben wir am Anfang unserer Partnerschaft reinen Tisch gemacht. Ich habe ihm von meinen Exbeziehungen erzählt, ebenso wie er es getan hat. Wir wissen genau, was bei dem anderen passiert ist – und was aber eben auch nicht. Trotzdem war es für Christian schwierig. Er wusste zunächst nicht, wie er damit in seiner öffentlichen Funktion umgehen soll. Müsste man es thematisieren? Müsste man vielleicht direkt in die Offensive gehen?
Wir haben uns dagegen entschlossen. Es hätte dem anonymen Rufmord eine viel zu große Aufmerksamkeit eingeräumt. Erst später, nachdem Mitte Dezember 2011 eine Zeitung und ein bekannter Moderator einer Talkshow im öffentlich-rechtlichen Fernsehen die Netzgerüchte und eine dazu bereits erschienene Passage eines Zeitungsartikels vor Millionen von Zuschauern am Bildschirm verbreitete, äußerte sich mein Mann. Im ARD und ZDF-Fernsehinterview am 4. Januar 2012 sagt er in einem Nebensatz: »Wenn Sie da sehen, was da über meine Frau alles verbreitet wird an Männerfantasien …« Aber zu dem Zeitpunkt, als das alles aufkam, hat Christian als Politiker das getan, was wir bezüglich des Themas auch für unser Familienleben beschlossen hatten: es auszublenden. Weil es ja »nur« im Internet, in irgendwelchen ominösen Blogs diskutiert wurde, glaubten wir nicht, dass diese Sache eine solche Dimension annehmen und eine derartige Ernsthaftigkeit zugeschrieben bekommen würde. Was nicht heißen soll, dass es damit für uns abgehakt war. So etwas kann man nicht abhaken.
Manchmal verunsichert es mich, dass weder mein Bruder noch meine Eltern mir gegenüber je ein Wort über diese Anschuldigungen bezüglich meiner Person verloren haben. Ich weiß, sie werden etwas gelesen, sie werden darüber etwas gehört haben – dafür war und ist es viel zu präsent, als dass sie sich dem verschließen könnten. Doch genauso weiß ich, dass es für meine Familie so unvorstellbar und unbegreiflich ist, dass es für sie zu etwas absolut Unaussprechlichem wird. Meine Eltern können diese Begriffe in Beziehung zu ihrer Tochter gar nicht in den Mund nehmen. Von ihrer Seite aus ist es tabu. Ich glaube auch, sie wollen es mir gegenüber nicht erwähnen, weil sie befürchten, ich könnte glauben, dass sie auch nur einen minimalen Hauch der Wahrheit in Erwägung ziehen. So schweigen sie. Von meiner Seite aus aber war es mir ein Bedürfnis, ihnen zu sagen, dass ich um die Dinge weiß und dass sie sich in keiner Weise Sorgen machen müssen. Das war mir wichtig, ihnen zu sagen, denn meine Eltern haben Freunde und Bekannte, die bestimmt ebenfalls nicht hinterm Mond leben, sondern gewiss von den Gerüchten gehört haben. Der Anstand wird es ihnen verbieten, meine Eltern darauf anzusprechen. Aber umso mehr, weil manchmal solch ein Schweigen viel schlimmer ist, wollte ich, dass meine Eltern zu jedem Moment mit erhobenem Haupt vor die Tür treten können.
Diese Penetranz aber, mit der gerade Journalisten nach etwas suchten, was die Geschichte von der werten blonden Bundespräsidentengattin mit zwielichtiger Vergangenheit bestätigt, die war und ist so unglaublich – wie sagt der Volksmund: Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte. Mir wurde eine Liste mit Namen vermeintlicher Mitarbeiterinnen eines Clubs gezeigt, die unter der Hand von einigen Journalisten angeblich in Umlauf gebracht worden sei. Auf dieser Liste stand weder »Bettina« noch »Wulff« noch mein Mädchenname »Körner«. Dort war lediglich eine »Betty« vermerkt. Trotzdem sahen dies offensichtlich einige Journalisten als Beleg für ihre Spekulationen.
Was soll ich sagen? Auch wenn bestimmt einige Journalisten und ihre Pseudo-Informanten als Bestätigung ihrer Vermutungen gerne etwas anderes lesen würden: Ich habe nie als Escort-Lady gearbeitet. Das ist einfach absoluter Quatsch. In meiner Studentenzeit arbeitete ich im Fitnessstudio, kümmerte mich dort um das Marketing. Außerdem stand ich von 1994 bis 1997 in einem kleinen inhabergeführten Weinkontor in Hannover als studentische Verstärkung mindestens zweimal in der Woche zwischen Regalen voll mit Weinflaschen und italienischen Spezialitäten. Es verwundert und verärgert mich sogar ein Stück weit, dass darüber noch nie etwas geschrieben wurde. Wahrscheinlich ist dies zu unspektakulär. Lieber war so manch ein Journalist in puncto meiner Person überzeugt von einem angeblich anrüchigen
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