Jenseits des Spiegels
vielleicht anders als du, aber das macht uns noch lange nicht zu Monstern“, sagte Pal dann ernst, den Blick auf mich gerichtet. „Auch wir haben Freunde und Familie. Wir lieben, und wir trauern, lachen und weinen. Wir können mutig sein, und uns fürchten, und …“
„Wovor fürchtet sich den ein Werwolf?“
Pal grinste. „Lykaner.“ Er führte mich weiter durch das Lager. Langsam, im gemächlichen Schritt schlenderten wir um Hauser und Bäume herum.
Überall gingen die Menschen hier geschäftig ihrem Treiben nach. Auch Wölfe sah ich immer wieder. Es war friedlich, ruhig, idyllisch. Irgendwie unwirklich. Ein Dorf voller friedlicher Monster, aber ich hatte sie schon von der anderen Seite kennengelernt. Der Schreck saß mir immer noch in den Knochen.
„Und natürlich haben wir Ängste wie jeder andere auch. Kinder die sich vor einem Gewitter fürchten zum Beispiel. Wir haben hier auch eine Frau, Febe heißt sie, meine Großmamá, und sie hat fürchterliche Angst vor Spinnen. Wenn sie eine sieht, fängt sie immer an zu kreischen, und hört erst wieder auf, wenn sie einer wegmacht.“
„Aber sie lebt in einem Wald, der ist voll von Krabbelkäfern“, musste ich einfach anmerken.
„Ja, das ist ja der Witz an dieser Sache. Und jetzt sag mir, würde ein Monster wie du es dir vorstellst, sich vor einer Spinne fürchten?“
Nicht wenn sie genauso aussahen, wie die Spinnen die ich kannte. Klein, mit acht Beinen und leicht haarig. Aber mal ehrlich, ich wurde hier von einem Werwolf durch sein Lager geführt. Woher sollte ich also wissen, dass wir hier nicht von Riesenspinnen sprachen, die sich auch gerne mal einem Menschen ins Netz gehen ließen? – Wortspiel beabsichtigt. Ich antwortete ihn nicht, sondern stellte ihm meinerseits eine Frage. „Und was macht dir Angst?“
Er zog eine Augenbraue hoch, und schmunzelte. „Du versuchst doch nicht etwas meine Schwächen herauszufinden, oder?“
„Nein, ich … entschuldige. Es geht mich wirklich nichts an.“
Er lächelte wieder dieses halbe Lächeln, und wollte gerade etwas sagen, als ein lautes brüllen durchs Lager fegte. Nein nicht durchs, über dem Lager erscholl es. Über den Kronen der Bäume. Es schallte zwischen den Bäumen, und brachte Zweige zum zittern. Erschrocken sah ich mich um. „Was war das?“
Einige andere Wölfe, die draußen geschäftig ihrem Alltag nachgingen, hielten kurz inne, sahen zu dem bisschen Himmel, das zwischen dem Blätterdach durchschimmerte, und machten dann in aller Seelenruhe weiter.
Da ertönte es ein weiteres Mal, und ich drückte mich mit dem Rücken an den nächsten Baum. Mein ängstlicher Blick ging nach oben, aber außer Blättern war nichts zu sehen.
„Keine Sorge, das war nur ein Drache auf der Jagd.“ Er sagte das so leicht hin, als spräche er davon, sich vor dem Mittagessen noch ein paar Kekse in den Mund zu werfen.
Ich schnappe wie ein Fisch an Land, öffnete den Mund, aber es kam kein Ton raus. Erst bei dem vierten Versuch hatte ich meine Stimme wiedergefunden. „ Ein … ein Drache?“ Huch, kam dieses schrille Quieken wirklich von mir?
„Natürlich.“ Pal legte den Kopf schief, und musterte mich neugierig. „Wenn ich dein ungläubiges Gesicht richtig entziffere, dann gibt es da wo du herkommst genauso wenig Drachen wie Lykaner?“
„Nein, nein, Drachen sind ein Mythos, die gibt es nur im …“ Ich schloss den Mund.
„Märchen?“, fragte er, und benutze damit das gleiche Wort, dass ich schon auf die Werwölfe angewandt habe.
„Ja. Ja, genau. Drachen sind Märchengestallten, nur Legenden, die erfunden wurden um die Leute zu unterhalten. Sie können nicht … wie kannst du da nur stehen, und von Drachen auf der Jagd sprechen, und dabei so völlig unbeteiligt wirken?“, fuhr ich ihn an. Wie konnte er es wagen so ruhig zu sein, während ich hier fast einen Herzinfarkt bekam? Das war nicht gerecht!
„Weil wir keine Beute der Drachen sind.“
„Aber sie sind …“
„Du brauchst keine Angst vor ihnen haben, nicht hier.“ Er hob seine Hand, als wollte er mir damit beruhigend über den Arm streichen. Eigentlich eine nette Geste, aber ich sah nur wie dieser Wulf seine Arme nach mir ausgestreckte hatte, sah in dem Kerl vor mir nur den Wolf der unter der Oberfläche lauerte, und wich ihm so hastig aus, dass ich über eine Wurzel stolperte, und schon wieder auf dem Hintern landete.
Pal wirkte über meine Reaktion eher erschrocken als gekränkt, zögerte kurz, als überlegte er mir wieder
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