Jenseits des Tores
immer schwer verständlicher Stimme mit. Daß Lilith ihr anderes Gesicht gezeigt hatte, schien die Wärme, die sie vorhin noch in ihm geweckt hatte, etwas abgekühlt zu haben.
»Nein, verdammt«, knirschte Lilith. Ihre Finger gruben sich wie in Krämpfen in den Staub. Ihr Körper zitterte wie der eines Junkies auf Entzug.
»Ich muß hier raus ...«, wisperte sie. »Ich brauche Blut ... einen gottverdammten Vampir .«
»Den wirst du hier nicht finden.«
»Ich weiß!« fuhr Lilith auf, kraftlos und mit vor Verzweiflung bebender Stimme.
Dann sah sie in Baldaccis Gesicht, in die Leere seiner Augenhöhlen, und ihr Ton wurde flehend: »Bring mich hier raus, Raphael -bitte!«
»Wie könnte ich dich befreien aus etwas, das in dir selbst ist?« erwiderte er ernst.
»Du mußt einen Weg kennen«, wimmerte Lilith. »Wenn nicht du -wer dann?«
Sie wies mit dem Kinn auf das gewaltige Tor.
»Was ist damit?« fragte sie. »Wie läßt es sich öffnen?«
»Es wird nicht geöffnet!« entgegnete er hart. »Niemand wird es je wieder öffnen!« Aber Lilith registrierte sehr wohl, daß er nicht behauptete, es nicht tun zu können .
»Wo führt es hin?«
Das Wesen schwieg.
»Was muß ich tun, was verlangst du von mir, damit du es für mich öffnest? Nur ein wenig, so daß ich .«
»Kein Preis könnte hoch genug sein, kein Opfer groß genug, als daß das Tor dafür geöffnet würde«, erklärte Baldacci mit klirrender Kälte im Ton.
»Aber du könntest es ...?«
»Nein.«
»Ich glaube dir nicht.«
»Dazu kann ich dich nicht zwingen.«
Lilith vibrierte förmlich unter einem weiteren Schub ihres ganz besonderen Entzugs.
»Siehst du denn nicht, wie ich leide?« schrie sie verzweifelt. »Rührt dich denn gar nichts mehr? Bist du so kalt wie die Macht, die an diesem Ort regiert? Oder gar schon - Teil von ihr ...?«
»Gewiß nicht«, sagte Baldacci.
»Dann hilf mir - bitte!«
»Was soll ich denn tun?« rief er, selbst mit einer Spur von Hilflosigkeit in der Stimme.
»Bring mich weg von hier .« Die Worte wichen wie im Tod entfliehender Atem aus Lilith.
Wieder breitete sich Schweigen zwischen sie, erwuchs zu einer Mauer, die an Stärke dem Tor hinter ihnen kaum nachstand. Baldac-ci wirkte selbst wie tot, so reglos saß er da. Doch Lilith konnte sehen, daß sich das Glosen in der Tiefe seiner Augenhöhlen bewegte. Als suchte er nach etwas, das nur er mit seinem ganz eigenen Blick finden könnte .
Nach einer kleinen Ewigkeit sagte er endlich: »Vielleicht gibt es einen Weg aus dieser Hölle .«
»Welchen?« Lilith fuhr auf, nur ein wenig; zu größerer Anstrengung reichte ihre Kraft nicht mehr.
»Nun«, begann Baldacci, »ich weiß nicht, ob es funktioniert, und am wenigsten weiß ich, wohin dieser Weg dich führen würde. Sicher nicht an den Ort, von dem du gekommen bist.«
»Wo beginnt dieser Weg?« fragte Lilith hastig.
»In dir.«
Sie sah ihn zweifelnd und verzweifelt in einem an.
»Wovon redest du?«
Baldacci zeigte hinaus in die Weite der Staubwüste. »Diese Welt, diese Hölle ist geboren aus deinen Ängsten und deiner größten Schuld. Wenn es aber eine Angst gibt, die tiefer in dir verborgen ist und jene, die hier Gestalt geworden ist, überwiegt, dann vermag sie dich vielleicht an einen anderen Ort zu führen.«
»In eine andere Hölle, meinst du?«
Baldacci nickte. »Ja. Aber vielleicht findest du dort einen weiteren Weg - oder wenigstens eine Quelle, aus der du deinen absonderlichen Durst zu stillen vermagst.«
Ekel und Abscheu zeichneten sich in seinem Gesicht ab und ließen es noch ausgezehrter wirken.
»Eine Angst, die größer ist als die, kein schwarzes Blut mehr zu finden ...«, flüsterte Lilith, mehr zu sich selbst als zu Raphael hin, »... etwas, daß ich mehr fürchte, als von meiner Sündenschuld erdrückt zu werden .«
Die Ängste, fand Lilith heraus, waren Teil ihres Bewußtseins. Sie durchsetzten es, waren gegenwärtig. Wenn es eine größere Furcht gab, dann mußte sie tiefer schürfen. In ihrem Unterbewußtsein danach forschen. Sie tat es, aber es bereitete ihr wegen des brennenden Durstes unendliche Mühe, sich darauf zu konzentrieren. Sie schloß die Augen, suchte, tastete .
... und fand diese andere Angst, die alles überwog.
Worin sie bestand, überraschte Lilith selbst. Nie hätte sie gedacht, daß sie sich davor in einem solchen Maße fürchten würde. Vor einer Begegnung, einer Konfrontation.
»Es gibt diese Angst«, sagte sie schließlich.
»Ich weiß«, hörte sie
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