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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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heilte sichtbar. Wie grausam konnte das Schicksal sein? Jonneth drehte eine Runde um den Palast, als wollte er allen noch einmal seine Unbesiegbarkeit demonstrieren. Blut tropfte auf den strahlend weißen Kiesweg. Jemand neben ihm schluchzte auf.
    »Ich hätte ihn töten können! Verdammt, ich hätte die Gelegenheit dazu gehabt und wieder habe ich es versaut.« Leroy hockte neben ihm und heulte wie ein Schlosshund.
    »Du bist nicht schuld«, presste Kjoren aus zusammengebissenen Zähnen hervor. »Du ...«
    Ein Schuss gellte durch die Luft und ließ ihn vor Schreck zusammenfahren. Wer hatte geschossen? Er hatte geglaubt, alle Soldaten hätten ihre Munition längst verbraucht, um Firunen vom Himmel zu schießen.
    Jonneth stieß einen gurgelnden Schrei aus. Er fiel auf das Geländer des Palastbalkons, prallte hart von der Balustrade ab und kam auf dem Balkon zum Liegen. Er regte sich nicht mehr. Selbst wenn der Schuss kein Volltreffer gewesen sein mochte, so hatte ihn der Zusammenstoß mit dem Balkongeländer das Genick gebrochen. Der Schütze stand neben Jonneth’ sterbendem Körper, setzte triumphierend einen Fuß auf seine Brust und reckte das Gewehr in die Höhe, als hätte er soeben auf einem Jagdausflug Beute gemacht. Seine blaue Seidenrobe wehte im Wind, sein Gesicht war eine von Hass verzerrte Grimasse.
    Jaham.
    »Du hast gedacht, du könntest mich besiegen und an meiner statt regieren? Du nichtsnutziger Volltrottel«, keifte er der Leiche unter seinen Füßen entgegen. »Niemals wärest du ein besserer König geworden als ich. Du bist ein Verräter an deinem eigenen Fleisch und Blut!«
    Er bückte sich nach seinem leblosen Sohn und zog etwas aus der Innentasche der Uniform. Das Tagebuch. Jaham lachte, lang und ausgiebig. Es war eine groteske Szene. Ein Déjà-vu! Leider wusste anscheinend niemand, wie er darauf reagieren sollte. Die verbliebenen Soldaten und Firunen starrten Jaham lediglich an wie versteinert. Jaham würde sich in seinem Palast verbarrikadieren, und niemand würde ihn davon abhalten können, das Buch zu seinem Vorteil zu nutzen. Verflucht! Nichts hatten sie gewonnen. Kjoren stieß ein grimmiges Knurren aus, während Elane in seinen Armen schluchzte. Leroy atmete geräuschvoll.
    Gerade, als die Soldaten wieder beginnen wollten, dem kläglichen Überbleibsel der firunischen Freiheitskämpfer endgültig den Garaus zu machen, vermutlich, um Jaham zu beeindrucken, tauchte jäh eine Gestalt hinter Jaham auf dem Balkon auf. Zunächst konnte Kjoren nicht erkennen, wer es war, denn die Person hatte sich in einen langen Umhang gehüllt und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Jaham bemerkte nicht, dass sich ihm jemand näherte. Er war vollends beschäftigt, das kleine Buch in seinen Händen zu küssen und zu herzen. Er scherte sich nicht um den Leichnam seines Sohnes, im Gegenteil, er schien sich sogar darüber zu freuen, es Jonneth heimgezahlt zu haben.
    Die Person hinter Jaham strich sich die Kapuze vom Kopf. Kjoren hielt den Atem an. Eine Frau mit tränennassem Gesicht. Sie zog etwas aus ihrem weiten Ärmel, es glitzerte in der Sonne. Ein kleines Messer, kaum länger als eine Hand.
    »Was tut sie?«, hauchte Leroy.
    In diesem Moment rammte die Frau Jaham das Messer von hinten in den Leib. Immer und immer wieder. Jaham riss die Augen weit auf und stieß einen erstickten Schrei aus. Er ging in die Knie und kippte nach vorn. Das Buch fiel durch die Verstrebungen des Balkongeländers hindurch auf die Treppe zum Haupteingang des Palastes. Jaham sank in sich zusammen.
    »Annah Venell«, presste Elane hervor. »Sie hat ihn getötet.«
    Alle Augen richteten sich auf die zierliche Frau auf dem Balkon, die sich schniefend und heulend über den toten Leib ihres Sohnes beugte und bitterlich weinte.
    »Jonneth, Jonneth, Jonneth.« Ihre Worte steigerten sich zu einem monotonen, verzweifelten Singsang.
    Was musste diese Frau bloß erduldet haben? Sie hatte unter Jaham gelitten, Elane hatte ihm davon berichtet. Er hatte sie verachtet, geschlagen und schließlich ihren einzigen Sohn zu einem kaltherzigen Monster erzogen. Annah Venell hatte sich aus eigener Kraft aus ihrem Martyrium befreit.
    Kjoren spürte einen Kloß im Hals. Lange Zeit rührte sich niemand. Es bückte sich noch nicht einmal jemand nach dem Tagebuch, das auf der Vordertreppe lag.
    Der Wind blätterte durch die Seiten.
    Plötzlich begann der tote Körper von Jonneth , bläulich zu leuchten. Annahs Schluchzer erstarben. Blaues Licht ging von der

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