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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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Leiche aus, es wurde stärker und stärker, bis sich alle Anwesenden die Hände vor die Augen halten mussten, um nicht zu erblinden. Einen Lidschlag später war es vorbei. Tageslicht hüllte sie ein.
    »Ich kann wieder fliegen«, kreischte ein Firune. Und tatsächlich – einer nach dem anderen erhoben sie sich in die Lüfte. Auch Kjoren spürte ein seltsames Kribbeln, das in seinen Körper floss. Er fühlte sich wieder wach und lebendig. Seine Magie war mit Jonneth’ Tod zurückgekehrt.
    Annah erhob sich vom Boden des Balkons und stellte sich ans Geländer. Ihr Gesicht glänzte vor Tränen. Sie sah jemanden an und ein müdes Lächeln stahl sich in ihre Züge. Kjoren folgte ihrem Blick.
    »Elane, es tut mir leid, dass du nicht das Leben bekommen hast, das du dir gewünscht hast«, hauchte Annah.
    Dann, jäh und unvermittelt, beugte sie sich über die Balustrade und ließ sich fallen. Ein letztes schmerzerfülltes Jonneth entwich ihrer Kehle, bevor sie auf der Treppe aufschlug, direkt neben dem Tagebuch. Ein Raunen ging durch die Menge, dann senkte sich Stille über sie, einzig durchbrochen vom Ruf einer Krähe.

Epilog
    L eroy starrte auf die Maserung der Marmortreppe und zählte die kleinen Macken und Kerben darin, die von jahrhundertelanger Begehung zeugten. Es war eine gute Methode, sich vom Geschehen um ihn herum abzulenken. Unter keinen Umständen wollte er den Blick heben und in die Gesichter der Gäste sehen, sonst würde ihn vermutlich der Mut verlassen. Zeremonie nannten sie es. Pah! Zeremonie! Gerade einmal fünfzig Valanen und Firunen waren gekommen, um seiner Krönung beizuwohnen.
    Leroy hörte nicht, was der alte Perg Worsum aus dem Rat der Obersten erzählte. Er kniete vor ihm, sah ihn jedoch nicht an. Worsum hielt den goldenen Reif, den sie von Jahams totem Haupt genommen hatten, in seinen Händen.
    Das Tor der Burg war geschlossen. Ursprünglich hatten sie beabsichtigt, den Innenhof für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, doch noch immer hatten sich die Gemüter der Bürger von Valana nicht vollständig abgekühlt. In den vergangenen Tagen war es zwar ruhig geblieben, sodass sie bereits mit den Aufräumarbeiten beginnen konnten, doch hier und da gab es noch vereinzelte Demonstrationen und Vandalismus. Es blieb zu gefährlich, die Tore zu öffnen.
    Leroy war sich bewusst, dass das Volk ihn als König niemals akzeptieren würde. Weshalb nur hatte der Rat der Obersten überhaupt darauf bestanden, auf Gedeih und Verderb nach altem Recht zu handeln und Leroy zum König zu ernennen? Waren sie denn so blind, nicht zu sehen, dass er nichts auszurichten vermochte?
    Kjoren und Elane hatte man während der vergangenen zwei Wochen im Palast untergebracht. Auf Elanes Drängen hin hatte Leroy veranlasst, Mr. Breel und Mr. Redland, die beiden Gefangenen, die er seinerzeit aus dem versteckt liegenden Firunenhaus befreit hatte, aus dem Arbeitslager zurück nach Valana bringen zu lassen. Leider hatte sie nur noch die traurige Nachricht vom Tod der Männer erreicht. Leroy hatte ihnen ein kleines Denkmal im Palastgarten errichten lassen. Obwohl noch nicht offiziell gekrönt, wohnte ihm dennoch immense Entscheidungsgewalt inne. Leroy hatte sich immer gewünscht, eine Führungspersönlichkeit zu sein, doch die Realität schmeckte fad und vermochte ihn nicht zu erfreuen. Er schüttelte die Gedanken ab und kehrte ins Hier und Jetzt zurück.
    Als Perg Worsum ihn dazu aufforderte, erhob er sich pflichtschuldig. Seine Knie schmerzten. Hätte Worsum die Rede nicht etwas kürzer halten können? Als er ihm die Krone auf den Kopf setzte und ihn bat, die zuvor sorgsam auswendig gelernten Worte zu Ehren des b armherzigen Gottes aufzusagen, fühlte er sich wie ein Betrüger. Die Worte fühlten sich in seinem Mund an wie Glassplitter. Bereits lange zuvor hatte sich eine Idee in ihm breitgemacht. Seit mehreren Nächten schon grübelte er darüber nach. Anfangs hatte er sich noch Sorgen gemacht, wie der Rat der Obersten und die anderen Anwesenden das Ergebnis seiner Grübeleien auffassen würden, doch mittlerweile war es ihm egal. Es war die beste Lösung für alle, das mussten sie letztlich einsehen. Außerdem oblag ihm nun die Befehlsgewalt und sein Entschluss stand fest.
    »Ich danke Ihnen, Mr. Worsum«, beschloss Leroy seine geheuchelte Rede. Jetzt kam er nicht mehr umhin, die Gäste anzusehen. Die meisten von ihnen machten betretene Gesichter. Zumindest für die Firunen bedeutete Leroy wohl bloß so etwas wie das kleinere

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