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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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gehindert. Seltsame Details, wie die grotesken Schatten der Firunenflügel auf dem Waldboden, waren ihm von der Schlacht in Erinnerung geblieben.
    »Wir ziehen los. Abtreten!« Hauptmann Lenrys Stimme riss Kjoren aus seinen Gedanken, doch er fühlte sich noch immer benebelt von seinem Trauma. Wie eine Marionette marschierte er mit den anderen Soldaten auf dem ausgetretenen Pfad zurück, über den sie hierhergelangt waren. Kjoren verfluchte diesen Ort. Er verfluchte die Armee und allem voran verfluchte er sich selbst. Er hätte sich von dem Irrsinn längst lossagen und das Weite suchen müssen.
    Sie kamen nicht weit, bereits nach kurzer Zeit gab Lenry den Befehl zum Rasten. Wenn Kjoren nicht so sehr in seine Gedanken vertieft gewesen wäre, hätte er seinen Protest vermutlich sogar laut geäußert. Doch mittlerweile war ihm alles egal. Sie hätten den Landungssteg des Luftschiffes noch heute erreichen können, wenn sie sich beeilt hätten. Doch Hauptmann Lenry hatte zwei heruntergekommene Valanen aus der Ruine befreit. Sie behaupteten, Kriegsgefangene zu sein und waren zu geschwächt, um den Marsch zur Küste an nur einem Tag zurückzulegen. Einige von Kjorens Kameraden murrten über die frühe Rast, doch er beschwerte sich nicht. Eine alle Gedanken verschlingende Leere hatte es sich in seinem Kopf bequem gemacht.
    Den ganzen Abend tuschelten die Soldaten hinter vorgehaltener Hand, wer die widerlich stinkenden Gesellen wohl sein mochten, und weshalb Hauptmann Lenry ihnen allen verbot, sie anzusprechen. Kjoren interessierte sich indes überhaupt nicht für das Thema. Er suchte sich einen Platz am Rand ihres Lagers. Die anderen hatten nie viel mit ihm geredet, und die meisten bemerkten nicht einmal, dass er sich zurückzog. Heute war er sehr dankbar dafür. Wahrscheinlich hatten sie von seinem Fehltritt nicht einmal etwas mitbekommen. Er hatte einen Befehl verweigert, weil er nicht imstande war, einen seiner Artgenossen zu erschießen. Weshalb plagten ihn in letzter Zeit vermehrt diese Zweifel, die ihm das Leben beim Militär so verflixt schwer machten? Er hatte sich immer für einen guten Soldaten gehalten. Ohne zu murren hatte er Befehle ausgeführt. Er war sich so sicher gewesen, die Jahre in der Armee problemlos hinter sich bringen zu können. Er tat es doch nicht für sich, sondern für seinen Vater.
    In dieser Nacht schlief Kjoren unruhig. Albträume umschwirrten sein Nachtlager wie geflügelte Dämonen. In einem seiner Träume breitete er seine Flügel aus. Sie waren blau wie ein klarer Frühlingshimmel. Kjoren wusste freilich nicht, welche Farbe sie tatsächlich hatten. Doch im Traum kam es ihm wie selbstverständlich vor, dass sie nur die Farbe des Himmels haben konnten. Er flog weit über den Köpfen seiner Kameraden und genoss die Freiheit. Doch alle Träume endeten stets damit, dass jemand ihm Schrot aus Bluteisen in den Leib schoss, der seine Magie augenblicklich außer Kraft setzte. Kurz, bevor er auf dem Boden aufschlug, erwachte Kjoren.
    Er blinzelte in die Dunkelheit. Sein Puls raste. Der Traum verstörte ihn, weil der Gedanke an ein Leben in Freiheit zu abwegig war, als dass sich sein Hirn mit derlei Dingen beschäftigen sollte. Kjoren griff mit einer automatischen Handbewegung an das Halsband aus Bluteisen, das die Firunenmagie zügelte, mit der er ohnehin nicht umzugehen wusste. Niemals zuvor war ihm der Gedanke gekommen, wahrhaftig zu fliegen, seine nächtlichen Träumereien, in die Tat umzusetzen. Es war ein Vergehen, in die Lüfte zu steigen, das mit dem Tod bestraft wurde. Kjoren schüttelte den Kopf angesichts des Entsetzens, in das ihn die bloße Vorstellung daran versetzte. Er rollte sich wieder in seine Decken ein, doch an Schlaf war nicht mehr zu denken. Er wälzte sich hin und her, bis ein leichter grauer Schleier im Osten einen neuen Tag ankündigte.
    Früh am Morgen setzte die Truppe ihren Weg Richtung Westen fort. Der stärker werdende Wind ließ auf die Nähe der Küste schließen, hinter deren Grenzen sich die gähnende Leere des Luftmeers erstreckte. Den Marsch über hatte Kjoren fortwährend darüber nachgedacht, was er sich für seine Zukunft wünschte. Er konnte nicht mit gutem Gewissen so weitermachen wie bisher. Das Bild seiner fliegenden Artgenossen hatte sich in sein Hirn gebrannt, ihn schockiert und fasziniert zugleich. Nur selten bekam ein Valane oder urbaner Firune ein echtes Flügelpaar zu sehen, denn die wenigsten Firunen wagten es, sich dem Gesetz zu widersetzen. Kjorens

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