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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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Gesicht zu sagen, dass er weder Wert auf Mitleid, noch auf seine Gesellschaft legte, als Leroy fortfuhr.
    »Du denkst sicher, ich könnte es nicht nachempfinden, wie es sich für dich anfühlen muss, deine Artgenossen zu töten. Doch ich weiß es besser, als du glaubst.«
    Weshalb dachte das Milchgesicht, Kjoren würde etwas um seine Meinung geben? Er war ihm so egal wie der Waldschlamm, der an seinen Stiefeln klebte. Was verstand ein Valane schon davon? Er erwischte sich kurzzeitig dabei, wie er sich wünschte, Leroy nie kennengelernt zu haben. Kjoren gab ein missmutiges Brummen von sich. Zum Glück gab Leroy nun endlich auf, ihn mit seinen Beileidsbekundungen zu langweilen.
    Abrupt blieb er stehen. Kjoren wäre beinahe in den Rücken seines Vordermannes gelaufen. Als er den Kopf hob, sah er den Grund dafür.
    Die wenigen Bäume, die so nahe der Küste dem kräftigen Wind und dem rauen Wetter nicht standhielten, standen derart licht und verkrüppelt umher, dass sie die Sicht auf ein weites Tal freigaben, das sich vor ihren Füßen erstreckte. Sie befanden sich weniger als zwei Meilen vom Abgrund entfernt. Er erinnerte sich noch genau an den Tag, als er mit seinem Vater zum ersten Mal in den Abgrund sah – das Ende jeden festen Landes von Yel. Damals war es für ihn unvorstellbar gewesen, dass die Kontinente wie riesige Inseln in der Luft schwebten und die Entfernungen nur mithilfe von Luftschiffen überbrückt werden konnten. Oder man flog als Firune selbst, was aber bereits damals verboten war. Den Anblick des Abgrundes an einem klaren Morgen würde er niemals vergessen. Denn dort, wo die Landmassen endeten, verwehrten zumeist Wolken den Blick in die unendlichen Tiefen.
    Kjoren erschauderte, als er am weit entfernten Ufer ein gewaltiges Luftschiff entdeckte, das sie über das Windmeer bis nach Lyn zurückbringen würde. Es hatte einen gewölbten hölzernen Bauch, in den fünf Kutschen mit Zugtieren angespannt hintereinander gepasst hätten. Die schneeweißen Segel hatte man eingeholt, drei Masten ragten viele Manneslängen hoch in den Himmel. Das Schiff bot einen Ehrfurcht gebietenden Anblick. Dieses und seine zwei Schwesterschiffe waren der ganze Stolz des Königs und zugleich die einzige Möglichkeit, sich zwischen den Kontinenten zu bewegen. Eine Fahrkarte war für die meisten Arbeiter nicht erschwinglich.
    Der Weg hinab schlängelte sich durch Felsen und scharfkantiges Gestein. Kein Grashalm streckte seinen Kopf zwischen den Gesteinsritzen hervor. Der Wind peitschte Kjoren ins Gesicht, seine Haare flogen ihm wild um den Kopf. Trotz der Eintönigkeit der Landschaft war dieses Fleckchen Erde wunderschön. Fasst so schön wie die Mündung des Flusses Blau bei Valana, wo sich die gewaltigen Wassermassen hinab ins Nichts stürzten, um sich in ein Meer der Unteren Welt zu ergießen. Zweifelsohne war jedoch kein Ort so schön wie die dichten Wälder seiner Heimat Ona. Kjoren verlor sich in seinen Erinnerungen, bis sich der Trupp jäh wieder in Bewegung setzte und ihm jemand in den Rücken stieß.
    Den Weg hinunter zum Landungssteg sprachen nur wenige. Sie lockerten ihre Formation und liefen in losen Gruppen. Hauptmann Lenry ließ sie gewähren. Er lief neben den befreiten Gefangenen, die zwar noch immer einen grauenhaften Anblick boten, sich mittlerweile jedoch den gröbsten Dreck vom Leib gewaschen und ihre Bärte gestutzt hatten. Alle freuten sich nach den Entbehrungen der letzten Tage wieder auf eine warme Mahlzeit und ein weiches Bett an Bord des Schiffes.
    Der Kapitän kam mit einem Teil der Crew von Bord und begrüßte Hauptmann Lenry herzlich, als die Gruppe endlich den Landungssteg erreichte. Die Halbglatze und die mit tiefen Falten versehene, wettergegerbte Haut ließen den Mann sicher älter aussehen, als er war. Seine Kapitänsuniform schien ihm um einige Nummern zu groß zu sein. Er lächelte, aber es wirkte gequält. Er erkundigte sich nach dem Grund ihrer Verspätung, immerhin hatte man vor drei Tagen mit ihnen gerechnet. Als Lenry ihm die Geschichte von der versteckten Festung erzählte, schlug der Kapitän die Hände vor sein Gesicht und scheuchte zwei Matrosen zurück auf das Schiff, auf dass sie saubere Kleidung und eine Kabine für die beiden Entführten vorbereiten sollten.
    Rasselnd ließ man eine Zugbrücke herunter, die ins Innere des riesigen Bauches der »Wind I« führte. Ein wohliges Kribbeln breitete sich in Kjoren aus. Obwohl er schon oft mit einem Luftschiff gefahren war, versetzte es

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