Jenseits von Afrika
mir zeigen. Das war das einzige Mal, daß ich Denys bat, mich zu einem Flug mitzunehmen, und er mir’s abschlug.
Er reiste am Freitag, dem 8., ab. »Donnerstag kannst du nach mir ausschauen«, sagte er beim Fortgehen, »ich werde so zeitig kommen, daß ich bei dir Mittag essen kann.« Als er in seinem Wagen schon um die Kurve des Weges gebogen war, kehrte er noch einmal zurück, um einen Band Gedichte zu holen, den er mir geschenkt hatte und den er gern auf der Reise bei sich haben wollte. Er blieb, einen Fuß auf dem Trittbrett des Wagens, den Finger im aufgeschlagenen Buch, stehen und las mir ein Gedicht vor, von dem wir gesprochen hatten. »Das sind sie, deine grauen Gänse«, sagte er:
»Graue Gänse sah ich fliegen über das Flachland,
Wilde Gänse schwirrend in der luft’gen Höhe
Unbeirrten Flugs von Horizont zu Horizont –,
Straffen Mut in den gereckten Hälsen …
… Und ihr grauer Schimmer ziert den grenzenlosen Himmel.
Und die Sonne funkelt über runzligen Gebirgen.«
Dann fuhr er endgültig davon und winkte mir mit der Hand. Während Denys in Mombasa war, brach ihm bei der Landung der Propeller. Er telegraphierte nach Nairobi um die Ersatzteile, die er brauchte, und die Ostafrikanische Luftfahrtgesellschaft schickte ihm einen jungen Mann mit den Sachen nach Mombasa. Als die Maschine wieder klar war und Denys mit ihr aufsteigen wollte, forderte er den jungen Mann von der Luftfahrt auf mitzufliegen. Aber der Junge wollte nicht. Er war das Fliegen gewöhnt und war schon mit den verschiedensten Menschen mitgeflogen, auch schon mit Denys, und Denys war ein vortrefflicher Pilot und hatte als solcher, wie auch in allem übrigen, bei den Schwarzen einen guten Namen. Aber diesmal wollte der junge Mann nicht mit ihm aufsteigen. Lange Zeit hernach, als er Farah einmal in Nairobi traf und mit ihm von dem Vorfall sprach, sagte er zu Farah: »Nicht um hundert Rupien wäre ich an dem Tag mit Bwana Bedâr aufgestiegen.« Der Schatten des Schicksals, den Denys selbst in den letzten Tagen in Ngong gefühlt hatte, war dem Eingeborenen noch deutlicher spürbar.
Denys nahm seinen eigenen Boy Kamau mit nach Voi. Der arme Kamau fürchtete sich vor dem Fliegen; er hatte mir auf der Farm erzählt, wie er von dem Moment an, wo es in die Höhe ging und der Boden unter ihm zurückwich, die Augen starr auf seine Füße heftete, bis er wieder auf der Erde war; so grauste ihm davor, einen Blick über den Rand der Maschine zu werfen und die Landschaft aus der großen Höhe zu sehen.
Ich erwartete Denys am Donnerstag zurück; ich nahm an, daß er bei Sonnenaufgang in Voi starten und bis Ngong zwei Stunden unterwegs sein würde. Als er aber nicht kam und mir einfiel, daß ich in Nairobi etwas zu besorgen hatte, fuhr ich in die Stadt.
Sooft ich in Afrika krank oder in schweren Sorgen war, litt ich unter einer eigentümlichen Zwangsvorstellung. Es schien mir, daß alles rings um mich in Gefahr oder Not sei und daß ich inmitten all des Elends gewissermaßen auf der falschen Seite stünde und darum von jedermann mit Furcht und Argwohn betrachtet würde.
Dieser Alpdruck war in Wirklichkeit eine Erinnerung an die Kriegszeit. Damals glaubte eine Reihe von Leuten in der Kolonie, ich hielte es im Herzen mit den Deutschen, und verfolgten mich mit Mißtrauen. Ihr Verdacht rührte daher, daß ich in meiner Arglosigkeit kurze Zeit vor Ausbruch des Krieges nach Naivascha gereist war, um für General von Lettow, unten in Deutsch-Ostafrika, Pferde zu kaufen. Er hatte mich, als wir sechs Monate früher zusammen nach Afrika gereist waren, gebeten, ihm zehn abessinische Zuchtstuten zu besorgen; aber während der ersten Zeit hatte ich andere Dinge im Kopf und vergaß es; erst viel später, als er immer wieder auf die Stuten zurückkam, machte ich mich schließlich auf und kaufte die Tiere in Naivascha. Der Krieg brach so kurze Zeit danach aus, daß die Stuten nie außer Landes kamen. Der Verdacht gegen mich hielt nicht bis zum Ende des Krieges vor, er schwand, als mein Bruder, der freiwillig bei den englischen Truppen diente, beim Vorstoß auf Amiens, nördlich von Roye, mit dem Viktoriakreuz ausgezeichnet wurde.
Damals hatte ich meine Isolierung leichtgenommen, denn ich wußte, daß ich unschuldig war, und war überzeugt, daß ich das nötigenfalls würde nachweisen können. Aber der Stich muß tiefer gesessen haben, als mir bewußt war, und noch Jahre später, wenn ich sehr müde war und hohes Fieber hatte, kehrte das Gefühl aus
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