Jenseits von Afrika
erinnerte sich Kamante mit inniger Befriedigung an meine damalige Dummheit. Er arbeitete mit mir in der Küche, sichtlich insgeheim sich über etwas freuend, und brach plötzlich in Gelächter aus. »Weißt du noch, Msabu«, sagte er, »wie du damals vergessen hattest, daß ich ein Christ bin, und dachtest, ich würde Angst haben, dir zu helfen mit dem Mzungu Mzee – dem alten weißen Manne?«
Als Christ fürchtete sich Kamante auch nicht mehr vor Schlangen. Ich hörte ihn einmal den anderen Buben auseinandersetzen, daß ein Christ jederzeit seine Ferse der größten Schlange auf den Kopf setzen und sie zertreten könnte. Ich habe nicht gesehen, daß er das getan hätte, aber ich habe gesehen, wie er ganz still, mit ruhiger Miene, die Hände auf dem Rücken, dicht vor der Hütte des Kochs stehenblieb, als sich eine Puffotter auf dem Dache zeigte. Die anderen Kinder waren nach allen Seiten auseinandergeflogen, wie Spreu vorm Winde, und kreischten unmenschlich, indes Farah aus dem Hause mein Gewehr holte und die Puffotter abschoß. Als alles vorüber war und sich die Wogen wieder geglättet hatten, sagte Nyore, der Sohn des Sais, zu Kamante: »Kamante, warum hast du denn nicht deine Ferse auf den Kopf der bösen Schlange gesetzt und sie zertreten?« – »Weil sie auf dem Dach war«, sage Kamante.
Eine Zeitlang versuchte ich, mit Bogen und Pfeilen zu schießen. Ich war zwar kräftig, aber es fiel mir schwer, den Massaibogen, den Farah mir beschafft hatte, zu spannen; schließlich, nach langer Übung, wurde ich ein gewandter Bogenschütze. Kamante war damals ganz klein, er sah mir zu, wenn ich auf der Wiese meine Schießübungen machte, und schien seine Zweifel bei dem Unterfangen zu haben; eines Tages sagte er: »Bist du noch ein Christ, wenn du mit dem Bogen schießt? Ich dachte, ein Christ schießt mit dem Gewehr.« Ich zeigte ihm in meiner Bilderbibel die Illustration zu der Geschichte von Hagars Sohn. »Und der Herr war mit dem Knaben, und er wuchs heran und lebte in der Wildnis und wurde ein Bogenschütze.« – »Ja«, sagte Kamante, »er war wie du.«
Kamante hatte ein ebensolches Geschick für kranke Tiere wie für die eingeborenen Patienten. Er zog den Hunden Dornen aus den Pfoten und heilte einmal einen von ihnen, als er von einer Schlange gebissen worden war.
Eine Weile lebte in meinem Hause ein Storch mit einem gebrochenen Flügel. Er hatte einen entschieden würdevollen Charakter; er wanderte durch die Räume, und wenn er in mein Schlafzimmer kam, hatte er erbitterte Zweikämpfe, richtige Degenmensuren mit stolzgesträubten Flügeln gegen sein Ebenbild in meinem Spiegel zu bestehen. Er folgte Kamante durchs ganze Haus, und man mußte unwillkürlich meinen, daß er dessen steifen, gemessenen Gang absichtlich nachäffte. Ihre Beine waren gleich dick. Die kleinen schwarzen Buben hatten ein Auge für die Karikatur und schrien vor Vergnügen, wenn das Paar vorüberkam. Kamante verstand wohl den Witz, aber er achtete niemals darauf, was andere Leute von ihm dachten. Er schickte die kleinen Buben fort, um in den Morästen Frösche für den Storch zu fangen.
So fiel Kamante auch die Sorge für Lulu zu.
Eine Gazelle
Lulu kam aus den Wäldern zu mir, so wie Kamante aus den Steppen gekommen war.
Im Osten von meiner Farm lag das Ngongwaldreservat, das zu der Zeit noch nahezu ganz aus Urwald bestand. Ein afrikanischer Urwald ist ein geheimnisvoller Aufenthalt. Man reitet in die Tiefe eines alten Gobelins, der an manchen Stellen verblaßt, an anderen vom Alter gedunkelt, aber wunderbar reich an grünen Farbtönen ist. Den Himmel sieht man da drinnen nicht, wohl aber spielt das Sonnenlicht, das durch das Laub einfällt, auf mannigfache, seltsame Art im Gezweig. Die grauen Flechten, die wie lange Bärte an den Bäumen niederwallen, und die Schlingpflanzen, die allenthalben herabhängen, schaffen eine lauschige, verwunschene Stimmung im Urwald. Ich ritt dort öfters mit Farah an Sonntagen, wenn es auf der Farm nichts zu tun gab, hügelauf und -ab und quer über die kleinen gewundenen Waldbäche. Die Luft im Wald war kühl wie rieselndes Wasser und voll vom Duft der Pflanzen; in der beginnenden Regenzeit, wenn die Schlingpflanzen blühten, ritt man durch Wolken und aber Wolken von Wohlgerüchen. Eine afrikanische Gattung des wilden Seidelbastes, mit kleinen cremefarbigen klebrigen Blüten, strömte einen berauschenden Duft aus wie Flieder oder wilde Maiglöckchen. Hie und da sah man ausgehöhlte Knubben an ledernen
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