Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
Vom Netzwerk:
zarten, verletzlichen Frau so Schlimmes antun konnte.
    »Ach so …«, sagte Rita leise.
    Ihr Blick wurde wieder abwesend. Emilia befürchtete schon, sie würde sie nicht mehr erreichen können, weder mit guten Worten noch mit liebevollen Gesten. Doch da hob Balthasar plötzlich die Hand und fuhr sich über sein vernarbtes Gesicht.
    »Und die Narben – die habe ich von einem Brand«, erklärte er ungefragt. »Bei ihnen gilt das Gleiche wie bei meinem Bein. Ich werde sie nicht los, aber … aber ich habe irgendwie gelernt, damit zu leben.«
    Dort, wo die Haut nicht entstellt war, rötete sie sich leicht. Verlegen senkte er den Blick. »Es tut mir leid«, setzte er rasch hinzu. »Ich wollte gewiss keine Vergleiche anstellen oder damit sagen, dass … dass …« Hilflos brach er ab, aber Rita hörte ihm ohnehin nicht mehr zu, sondern starrte nun wieder blicklos auf das Laken.
    Emilia erhob sich und trat auf Balthasar zu. »Danke«, sagte sie leise, »danke für alles. Und auch, dass Sie jetzt hier sind.«
    Balthasar seufzte. »Wie gesagt: Ich wollte nur sehen, wie es ihr geht … und ihr etwas schenken.«
    Erst jetzt bemerkte Emilia, dass er eine Rolle Papier in seinen Händen hielt. Er reichte sie ihr, und obwohl das Geschenk für Rita bestimmt war, rollte sie das Papier auf. Er hatte mit dem Kohlestift Rita gezeichnet – das Bild einer hübschen, etwas scheuen Frau, zart und verträumt, mit dunklen Augen und glattem, glänzendem Haar. Nichts hatte diese junge Frau mit dem Wesen gemein, das gestern blutend und dreckig in der Gosse gelegen hatte. Emilia stiegen Tränen auf.
    »Wir werden nicht mehr lange hierbleiben. Bald geht es weiter nach Valparaíso. Doch wenn ich an die Zeit in Punta Arenas denken werde«, Balthasar deutete mit dem Kinn auf das Bild, »dann werde ich an dieses Mädchen denken … und hoffen und beten, dass sie wieder so werden kann.«
    Es war eine knappe Woche später.
    Ana erwartete Emilia wie immer auf dem Gang, als diese Ritas Zimmer verließ, und wie immer stellte sie die gleiche Frage: »Geht es ihr besser?«
    Emilia hob hilflos die Arme. »Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Sie isst und trinkt und schläft – aber sie spricht nicht und starrt mit diesen toten Augen an die Decke … Es ist wie damals.«
    Sie hatte Ana erzählt, wie sie Rita einst am See gefunden hatte, und auch, dass sie damals wieder zurück ins Leben gefunden hatte. Nun aber …
    »Ich habe Angst, dass sie den Verstand verliert«, bekannte sie.
    »So schnell verliert man nicht den Verstand.« Anas Stimme klang hart, obwohl sie – das wusste Emilia – genauso viel Mitleid mit Rita hatte wie sie selbst. Noch nie hatte Ana so laut geflucht wie in der Stunde, da sie erfahren hatte, was Rita zugestoßen war.
    »Dann versuch doch du mit ihr zu reden«, murmelte Emilia hilflos.
    Ana zuckte nur die Schultern. In den letzten Tagen hatte sie noch mehr Zeit als sonst in der Casa Emilia verbracht, um zu helfen, aber bis jetzt hatte sie Ritas Gegenwart meist gemieden. Erst als Emilia sie ebenso verzweifelt wie hilfesuchend anstarrte, ging ein Ruck durch ihren Körper, und sie zwang sich dazu, das Zimmer zu betreten.
    Emilia folgte Ana, blieb jedoch im Türrahmen stehen, während diese sich auf Ritas Bett niederließ. Rita reagierte kein bisschen. Ihr Blick war weiterhin starr zur Decke gerichtet.
    »Glaub nicht, ich würde versuchen, dich zu trösten«, setzte Ana nach einer Weile grußlos und heiser an. »Das kann ich nicht. Ich will dir nur etwas erzählen. Und ich will, dass du zuhörst. Dass du meiner Geschichte zuhörst.«
    Ihre Stimme klang kühl, ihr Gesicht war ausdruckslos. Dieses Trachten, sich die wahren Gefühle nicht anmerken zu lassen, war Emilia vertraut, und doch brachte es sie darin nicht so weit wie Ana. Manchmal glaubte sie, sie müsste an ihrer Wut auf Esteban Ayarza und diesen Jerónimo – Jerónimo Callisto, wie Ana herausgefunden hatte – ersticken, und sie fragte sich, wie Ana nach ihren Flüchen wieder die Beherrschung gefunden hatte. Auch Ritas erbärmlicher Zustand schien nun an ihr abzuprallen – ein Vermögen, um das Emilia sie ein wenig beneidete, vor allem, als Ana nun fortfuhr, viel mehr als bisher über sich verriet und Emilia zu ahnen begann, woher dieses Vermögen rührte.
    »Ich habe euch erzählt, dass ich von russischen Einwanderern abstamme«, sagte Ana leise. »Doch ich habe nie berichtet, was damals genau passiert ist, als wir in Punta Arenas einliefen.« Sie

Weitere Kostenlose Bücher