Jenseits von Feuerland: Roman
dass er mit energischen Schritten die Stube durchquerte und die Herberge verließ. Hilflos blickte Balthasar indes auf Rita herab. Auch Emilia trat wieder zu ihr und sah, wie Blut in Arthurs Jacke gesickert war.
»Esteban!«, fluchte sie. »Dieser … dieser …« Ihr fiel kein Schimpfwort ein, das schlimm genug für ihn gewesen wäre.
Ritas Blick blieb leer, doch sie versuchte erneut, etwas zu sagen. »Esteban und Jerónimo … zu zweit … keine Möglichkeit … so stark … immer wieder …«
Wie sie biss sich nun auch Emilia auf ihre Lippen.
»Es wird alles gut«, murmelte sie. »Hörst du, Rita? Du musst nichts sagen! Streng dich besser nicht an! Es wird alles gut, es wird doch alles gut.«
Keinen Augenblick lang glaubte sie selbst daran.
»Ich dachte, er liebt mich … Ich dachte, er will mich heiraten.«
Ein Zittern durchlief Ritas Körper, rauhe Laute entwichen der Kehle, doch sie war nicht stark genug, um zu weinen.
Emilia wich nicht von ihrer Seite, obwohl es fast unerträglich war, den Blick von Ritas toten Augen auf sich zu spüren. Sie hatte geglaubt, alles Schmerzliche, Leidvolle, Peinigende hinter der Schufterei der letzten Jahre zurückgelassen oder es zumindest vom Wissen betäubt zu haben, dass sie auf dieser Welt bestehen konnte. Nun schien es über ihr zusammenzubrechen wie eine dunkle, kalte Welle. Ihre Knie zitterten so heftig, das sie laut aneinanderschlugen. Sie glaubte zu fallen, nicht nur auf den Boden, sondern noch tiefer – in einen modrigen Brunnen, wo es keine Luft zum Atmen gab und sämtliches Licht erloschen war. Doch dann spürte sie eine Hand, die ihre nahm, spürte neben Ritas toten Augen noch einen anderen Blick auf sich ruhen, warm und mitleidig.
Sie starrte Balthasar an und sah weder seine schiefen Züge, seine Brandwunden und sein kurzes Bein – sah nur diese warmen Augen, die ihr Kraft gaben, Rita zu streicheln und immer wieder zu murmeln: »Es wird alles gut.«
Nach einer Weile wurde die Tür polternd aufgestoßen. Arthur stürmte sichtlich gehetzt in die Gaststube, während der Mann, den er im Schlepptau hatte, nur träge Schritt vor Schritt setzte. Seine Lider hingen halb über seine Augen, was den Eindruck vermittelte, er würde gleich stehend einnicken. Gleichgültig betrachtete er die verwundete Rita, und anstatt näher zu kommen, blieb er im Türrahmen stehen. Arthur winkte ihn ungeduldig heran – offenbar hatte er den Mann schon mehrmals mit dieser Geste weitertreiben müssen –, doch nichts drängte diesen zur Eile. Sein Blick war nicht länger nur gleichgültig, sondern irgendwie verächtlich.
Emilia lagen böse Worte auf den Lippen, doch es war Arthur, der ihn an ihrer Stelle anfuhr: »Was stehen Sie hier rum?«
»Ich tue gar nichts, ehe wir nicht die Bezahlung geregelt haben.«
Wieder wollte Emilia etwas sagen – dass sie nämlich genügend Geld hätte, er solle einfach seinen Preis nennen –, doch abermals kam Arthur ihr zuvor: »Daran soll’s nicht scheitern! Sie haben mein Wort auf ausreichende Entlohnung.«
Endlich trat der Arzt näher, und Emilia erkannte, dass er einen Lederbeutel mit sich trug. Jener wirkte sehr schmutzig, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass das, was sich darin befand, sauber war. Aber sie ließ ihn gewähren, als er den Beutel neben Rita abstellte und darin zu wühlen begann. Immer noch blutete sie zwischen den Beinen; wahrscheinlich musste sie genäht werden, und Emilia hatte keine Ahnung, wer das sonst tun sollte.
Sie trat zu Ritas Kopf, strich ihr über die Haare und bemühte sich, allen Zweifel an diesem Arzt zu unterdrücken. Doch wenn sie ihn auch gewähren ließ, als er nun seine Hände ausstreckte, um den Stoff von Ritas zerfetzter Kleidung etwas hochzuschieben – ein anderer erlaubte es ihm nicht. Arthur riss den Arzt zurück, noch ehe er Rita berühren konnte. »Desinfizieren Sie sich gefälligst Ihre Hände!«, bellte er.
Die Lider des Arztes hoben sich erstmals ein bisschen. Der Blick darunter war mürrisch. »Sie holen mich spätabends her und sind dann nicht zufrieden, wenn ich Ihre Patientin behandle?«
»Das werden Sie nur mit sauberen Händen tun!«, befahl Arthur.
Der Arzt schien widersprechen zu wollen, gab jedoch unter Arthurs finsterem Blick schließlich nach. Umständlich kramte er eine längliche Flasche aus seinem Lederbeutel. »Acetum Antisepticum«, glaubte Emilia auf dem Etikett zu lesen. Als er die Flasche öffnete, roch es augenblicklich durchdringend nach Minze,
Weitere Kostenlose Bücher