Jenseits von Feuerland: Roman
herzlosen, widerwärtigen, gemeinen Kreaturen haben meine Rita zerstört und gebrochen! Sie haben sie …«
Sie brach ab. Er trat noch näher an sie heran, blieb kurz starr vor ihr stehen. Sein Gesicht war mitleidig, hilflos. Dann beugte er sich vor und schien sie umarmen zu wollen. Seine Hände berührten sie noch nicht, als sie sie schon von sich stieß und begann, auf seine Brust zu trommeln. »Diese Hurensöhne! Diese Bastarde! Verflucht seien sie bis ans Ende ihrer Tage! Mögen ihre Zungen verfaulen, mit denen sie meine Rita belogen haben, mögen ihre Hände verbrennen, mit denen sie sie angegriffen haben, mögen ihre …«
Sie hielt inne. Mit jedem Wort, das sie schrie, hatte sie Arthur einen weiteren schmerzhaften Hieb versetzt, doch er ließ es stoisch über sich ergehen und wich keinen Schritt zurück.
»Warum wehrst du dich nicht?«, fuhr sie ihn an. »Hast du etwa ein schlechtes Gewissen, weil du wie sie bist?«
Erst jetzt machte er einen Schritt zurück und starrte sie fassungslos an.
Sein Gesicht erbleichte.
»Nein!«, rief er entsetzt. »So wie diese … Bastarde bin ich nicht. War ich nie! Will ich nie sein!«
Langsam wichen Ohnmacht, Schmerz und Hass tiefer Erschöpfung. Sie wollte schlafen, am besten stundenlang, tagelang, wollte in dieses schwarze, tiefe Loch sinken ohne Träume, wollte einfach nur vergessen. »Ja, ja«, murmelte sie kraftlos. »Du musst ja auch nicht so sein. Weil die Frauen dir schließlich freiwillig zu Füßen liegen.«
»Du nicht«, erklärte er schlicht.
»Nein, ich nicht.«
Sie seufzte, ließ sich wieder gegen die Wand sinken, und erneut trat er auf sie zu. Diesmal verpasste sie die Gelegenheit, ihn zurückzustoßen, erlaubte ihm sogar, sie zu berühren. Zuerst nahm er ihr Gesicht in seine Hände, dann presste er es an seine breite Brust, schließlich streichelte er über ihren Rücken. Erst ließ sie es über sich ergehen, dann genoss sie es sogar. Ja, ohne Zweifel war er ein Schuft, aber in diesem Augenblick zählte nur, dass jemand da war, warm und groß, jemand, der sie tröstete, der ihr das Gefühl gab, nicht allein zu sein. Schließlich löste sie sich von ihm und blickte in sein Gesicht. Er erschien ihr fremd ob der Sorge und des Mitgefühls, das in seinen Zügen stand. Vielleicht war es ihm selbst fremd. »Warum bist du überhaupt noch hier?«, fragte sie. »Wolltet ihr nicht längst nach Valparaíso aufbrechen?«
»Das Schiff legt heute Abend ab. Ich … ich wollte mich nur verabschieden.«
»Ich verstehe.«
Sie senkte ihren Blick, ihre Tränen waren versiegt.
»Ich weiß nicht, wie lange ich dort bleiben werde«, sagte er. »Vielleicht sehen wir uns wieder, wenn ich auf dem Rückweg nach Deutschland bin …«
Er ließ es offen, ob er es sich wünschte, und sie auch.
»Ja, vielleicht«, sagte sie barscher als beabsichtigt. Dann wandte sie sich ab und eilte die Treppe hinunter, um die Gäste zu bedienen und für sie zu kochen.
Es war einige Wochen später, als Rita das Bett verließ und schweigend begann, Arbeiten zu verrichten. Emilia erklärte, sie müsse es nicht tun, solle sich vielmehr schonen. Doch Rita schüttelte nur den Kopf, setzte traumwandlerisch Fuß vor Fuß und sagte kein Wort. Emilia ließ sie keinen Augenblick lang allein, hatte Angst, dass sie sich etwas antun könnte, und verhinderte stets, dass sie mit scharfen Messern Fleisch oder Gemüse schnitt. Stattdessen gab sie Rita Wäsche zu waschen – was diese unglaublich langsam, aber doch entschlossen tat. Früher hätte sich Emilia über diesen Fleiß gefreut – nun zermürbte sie das stete Schweigen. Immer wieder versuchte sie, die Freundin zum Reden zu bringen, erreichte mit allem Flehen und Schimpfen und Klagen jedoch nichts. Erst viele Wochen später machte sie erstmals den Mund auf. Mit bleichem Gesicht trat sie zu Emilia und vertraute ihr an, dass sie glaube, schwanger zu sein. Ihre Züge waren ausdruckslos. Da waren kein Zittern, kein Schluchzen, keine Verzweiflung, nur dieser trostlose, leere Blick.
Emilia kämpfte an ihrer statt mit Tränen. Wieder holten sie Erinnerungen an ihre Mutter ein.
Wie hatte die sich damals gefühlt, als sie herausfand, dass sie schwanger war? Hatte sie je versucht, das Kind – sie – loszuwerden?
Dies war zumindest die erste Lösung, die ihr nun selbst einfiel. Unmöglich, dass Rita dieses Kind bekommen könnte! Ernesta musste ihnen helfen – Ernesta, die gewiss Frauen kannte, die Abtreibungen vornahmen! Allerdings – wenn sie
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