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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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eigenen Tuns zu bedenken. Aber zugleich gab es diese arglose, unschuldige Seite seines Wesens, die einzig darauf bedacht war, sich des Lebens zu erfreuen und mit den Menschen gut auszukommen, und die nun fassungslos war, dass man einem Mädchen wie Rita derart viel Gewalt zufügen konnte. Gewalt, die ihm selbst zuwider schien. Ganz gleich, wie schändlich die Wette gewesen war, die er auf sie abgeschlossen hatte – in diesem Augenblick war Emilia nicht nur dankbar für seine Hilfe, sondern dafür, dass er ein Mensch war, der zum ersten Mal in die Abgründe der Welt zu starren schien, der nicht abgebrüht darüber hinwegblickte, sondern tief erschüttert war.
    Der Arzt trat von Rita zurück. »Alles halb so schlimm«, erklärte er. »Ein paar Tage nur, und alle Wunden werden heilen.«
    »Halb so schlimm?«, rief Arthur so empört, als verberge sich hinter dieser Wortwahl schlimmste Beleidigung.
    »Wenn ich nun mein Geld haben dürfte«, bestand der Arzt.
    Wieder schien Arthur eine grimmige Entgegnung auf den Lippen zu liegen, aber Emilia sah, wie Balthasar ihm ein Zeichen gab, er sich daraufhin beruhigte und den Arzt bezahlte. Sie ließ es zu und wehrte später auch Arthurs Ansinnen nicht ab, Rita nach oben zu tragen. Sie wies ihm die Tür zu ihrer beider Kammer und sah zu, wie Arthur sie behutsam auf das Bett legte.
    »Danke«, murmelte sie knapp. Zu mehr Worten war sie nicht fähig, nur zu diesem heiseren, trostlosen, fassungslosen »Danke …«.

15. Kapitel
    S päter, viel später, als nach einer durchwachten Nacht graues Morgenlicht durch die Fensterbalken brach, schlug Rita endlich wieder die Augen auf. Emilia war an ihrem Bett gesessen, hatte ihre Hand gehalten, ihr Haar und ihr Gesicht gestreichelt. Als Rita erwachte, ruckartig hochfuhr und dann mit leerem, starrem Blick zurück aufs Kissen sank, wich sie jedoch instinktiv zurück.
    »Rita …«, brachte sie stimmlos hervor. Sie räusperte sich, wollte noch etwas sagen, wurde aber von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Rita schien es nicht gehört zu haben. Sie war nicht einmal zusammengezuckt und rührte sich auch dann nicht, als sich die Tür öffnete und jemand eintrat. Emilia dachte, dass es Arthur wäre, doch an den schleifenden Schritten erkannte sie Balthasar.
    Er kam näher, hielt den Kopf jedoch gesenkt.
    »Ich wollte sehen, wie es ihr geht …«
    Langsam, vorsichtig hob er sein Gesicht, und wie gestern Abend fühlte sich Emilia vom Blick dieser braunen, warmen Augen irgendwie getröstet.
    »Ich weiß nicht«, murmelte sie hilflos, »ich weiß nicht, wie es ihr geht …«
    Vom Bett her nahm sie eine Bewegung wahr. Als sie zu Rita herumfuhr, war deren Blick immer noch leer, aber zumindest sah sie nicht mehr auf das Bettlaken, sondern hatte den Kopf gehoben und starrte Balthasar an.
    »Das ist Balthasar Hoffmann«, rief Emilia schnell und setzte sich wieder an ihre Seite. »Er … er hat dich gestern Abend gefunden.«
    Sie spürte, dass sich Rita versteifte und kaum merklich von ihr abrückte, als wäre ihr die Nähe ihres Körpers zuwider. Zunächst dachte Emilia auch, ihre Worte hätten die Freundin nicht erreicht, doch nach einer Weile nickte sie mechanisch.
    Voller Scheu kam Balthasar noch etwas näher, und zu Emilias Überraschung tat Rita nun sogar den Mund auf, um etwas zu sagen. Sosehr Emilia die Freundin auch schonen wollte – insgeheim wünschte sie sich, sie würde sich das Grauen von der Seele reden, würde Gefühle zeigen und weinen, würde berichten, was genau geschehen war, obwohl sich Emilia längst das meiste zusammenreimen konnte. Wer immer dieser Jerónimo war – seine Seele musste so dunkel und verkommen wie die von Esteban sein, vielleicht sogar noch grausamer. Doch die Worte, die Rita flüsterte, hatten nichts mit dem zu tun, was ihr widerfahren war.
    Sie deutete auf Balthasars kurzes Bein und fragte unwillkürlich: »Tut es weh, wenn Sie hinken?«
    Emilia starrte sie verwundert an, aber Balthasar gab sich gleichmütig, als wäre es das Normalste der Welt, ausgerechnet in diesem Moment diese Frage zu hören.
    »Nein, nein«, sagte er rasch, »ich kann mich nicht erinnern, jemals auf gleich langen Beinen gegangen zu sein. Ich litt als Kind an Kinderlähmung, und seitdem ist es nun mal so, wie es ist, und ich muss zusehen, dass ich irgendwie damit zurechtkomme.« Seine Stimme klang heiter und fröhlich, doch als seine Augen über Rita huschten, waren sie voller Mitleid und auch Abscheu. Abscheu, dass man einer so

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