Jenseits von Feuerland: Roman
besudelt.
Der erste Weg nach seiner Rückkehr musste ihn direkt in eine Hafenkneipe geführt haben, wo er nicht nur jede Menge Branntwein getrunken, sondern auch die Bekanntschaft der Animierdamen gemacht hatte. Obwohl nichts an seinem erbärmlichen Zustand zum Lachen war, kicherten diese in einem fort.
Nora ließ die Hand sinken. »Arthur …«, stieß sie aus.
Er war ihr fremder als je zuvor – nicht nur, dass er seiner Sinne und Regungen nicht Herr war, überdies wirkte er so verloren, der Blick so leer … und irgendwie traurig.
Wie ein Kind erschien er ihr, ein Kind, das nicht recht weiß, wo es ist und was es tun soll.
»Ihr kö-kö-kö-könnt nun ge-ge-gehen«, lallte er in Richtung der Animierdamen, obwohl er ihre Arme noch fester umkrampfte.
Nora seufzte. Morgen früh würde er sich vor lauter Kopfschmerzen krümmen und Tageslicht nicht vertragen – ein Gedanke, der sie eher mit Mitleid als mit Schadenfreude erfüllte. Schon wollte sie nach Frau Christa rufen, damit sie ihm einen starken Kaffee braute und eine Wanne einließ. Doch als sie sich abwandte, sah sie, dass Gustav Hoffmann neben ihr stand. Er musste schon eine geraume Weile zugesehen haben, wie sein Neffe sich die Treppe hochkämpfte. In seinem Gesicht stand nicht auch nur das geringste Mitleid oder Amüsement – sondern einfach nur Verachtung.
»Du wagst es, so zurückzukommen?«, presste er hervor.
Obwohl er die Worte nur leise gesagt hatte, kaum lauter als ein Flüstern, gingen sie Nora durch Mark und Bein. Gustav Hoffmanns Lippen zitterten vor Entrüstung, und diese Entrüstung, diese tiefe Empörung schwappte jäh auf sie über wie eine schwarze Welle.
Wie konnte er nur?, durchfuhr es sie. Wie konnte er sie nur mit diesen zwei halbnackten Mädchen so bloßstellen? Wie konnte er dem ganzen Haus offen zeigen, dass er nichts von ihr hielt? Wie konnte er sie hier einfach unberührt zurückgelassen haben, um auf diese lange Reise zu gehen?
Kein einziges Mal hatte er ihr geschrieben. Wenn Gustav Hoffmann ihr nicht dann und wann davon berichtet hätte, was er in Chile trieb, sie hätte sich nicht einmal sicher sein können, ob er überhaupt noch lebte.
Sie kniff die Lippen aufeinander. Ihr Leben, das sie eben noch als so geruhsam, friedlich, erfüllend empfunden hatte, war plötzlich nur noch eins: ein Leben in Schande.
Mittlerweile hatte Arthur das Ende der Treppe erreicht und konnte nun aufrecht stehen, ohne sich auf die Mädchen zu stützen.
»Macht, dass hier rauskommt!«, fauchte Gustav in ihre Richtung, ohne sie eingehender zu mustern.
Arthur hatte ihnen wohl schon ihren Lohn bezahlt, denn sie folgten dem Befehl augenblicklich. Es dauerte allerdings eine gefühlte Ewigkeit, bis sie endlich das Haus verlassen hatten.
Erst als das Kichern endgültig verstummt war, wandte sich Gustav an Arthur. »Ich dachte, du wärst in Chile endlich erwachsen geworden«, sagte er – nicht länger streng, sondern müde, nahezu ausgelaugt.
Arthur griff sich an die Schläfen. »Was willst du denn?«, murrte er. »Ich habe alles getan, was du wolltest. Meinetwegen verfügst du über eine stolze Mitgift – und nun auch über beste Geschäftskontakte nach Übersee. So lass mir doch wenigstens ein bisschen Spaß.«
Er klang trotzig wie ein kleines Kind, und kurz erwachte in Nora gleiches Mitleid wie vorhin, die Einsicht auch, dass er wie sie ein Getriebener war, dass sie beide zu etwas gezwungen worden waren, was sie nicht wollten, beide sich zu schwach erwiesen hatten, sich dem zu widersetzen, aber beide immerhin genügend Willenskraft aufbrachten, um sich ein eigenes Leben aufzubauen und das Beste daraus zu machen.
Doch dann spürte sie Gustavs Blick auf sich ruhen. Er war voller Scham. Und das wiederum beschämte sie.
Arthur wankte ein paar Schritte auf sie zu, starrte sie an wie eine Fremde. Übelkeit stieg in ihr hoch, als eine neue Woge des Branntweingestanks sie traf.
»Du bist also wieder hier«, stellte sie tonlos fest.
»Keine Angst«, murmelte er, »ich bleibe nicht lange. Ich werde bald nach Chile zurückkehren – es gibt dort vieles zu tun für mich. Und dann seid ihr mich wieder los.«
Es war mit Abstand die längste Rede, die er jemals an sie gerichtet hatte, doch mit jedem Wort, das er sagte, fühlte sie sich mehr vor den Kopf gestoßen.
»Das ist gut«, murmelte sie. »Wie erbärmlich musst du sein, in solchem Zustand heimzukehren? Dein Anblick ist mir unerträglich!«
Abrupt wandte sie sich ab.
Solange sie in
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