Jenseits von Feuerland: Roman
sein Gesicht geblickt hatte, hatte sie jedes Wort, das sie sagte, gemeint. Ja, sie fand es gut, dass er nicht bleiben würde. Ja, sie verachtete ihn.
Doch kaum hatte sie sich abgewandt, erschienen ihr die Worte als zu heftig, die Gefühle, die er in ihr entfachte, viel zu groß und zu stark. Er war doch ein Fremder für sie, und im Grunde wollte sie genau das, was er ihr anbot: dass er ihr fernblieb.
Aber dann sah sie, wie Gustav ihr zunickte, als Zeichen, dass er auf ihrer Seite stand.
»Und außerdem stinkst du wie ein Straßenköter«, schimpfte sie da plötzlich los, »wag es nicht, heute bei mir zu schlafen!«
Wieder erschien es ihr augenblicklich lächerlich, was sie da sagte. Die Rolle der zeternden Ehefrau war fehl am Platz. Und außerdem machte er ohnehin nicht auch nur die geringsten Anstalten, ihr zu folgen und die Nacht im gemeinsamen Bett zu verbringen.
Das erleichterte sie ungemein. Und verärgerte sie zugleich noch mehr.
Drittes Buch
Weißes Gold
1891–1892
22. Kapitel
P unta Arenas glich einem riesigen Stall.
Obwohl Rita der Geruch mittlerweile zutiefst vertraut war, scheute sie die Enge inmitten der Menschenmassen und hielt Abstand, als die ersten Schiffe eintrafen und die Schafe an Land gebracht wurden.
Das Blöken war so laut, dass Emilia schreien musste, um mit ihr zu reden. »Siehst du«, erklärte sie mit einem vorwurfsvollen Tonfall, »von dem Mann dort hinten würde ich kein einziges Schaf kaufen.«
Rita folgte ihrem Blick, konnte jedoch nicht erkennen, was Emilia derart empörte. »Warum nicht?«
»Schau doch nur, wie er seine Tiere transportiert! Die Ladeklappen sollten nicht so steil sein – und immer mit Querlatten ausgerüstet, damit die Tiere auf und ab steigen können. Doch der Dummkopf beachtet beides nicht. Einige Schafe werden ausrutschen und sich alle Knochen brechen.«
Rita nickte verständig. Wenn sie auch nicht so viel über Schafzucht gelernt hatte wie Emilia, wusste sie zumindest, wie schnell die Tiere in Panik geraten und sie sich gegenseitig verletzen, gar töten konnten, wenn einige zu Fall kamen und andere einfach über sie hinwegtrampelten.
»Und der«, Emilia deutete stirnrunzelnd auf einen anderen Händler, der eben seine – für den Transport an drei Beinen gefesselten – Schafe entlud, »von dem würde ich auch keines nehmen. Sieh nur, wie wund gebissen sie sind. Sie haben bestimmt die Krätze.«
Wieder nickte Rita verständig, wusste aber nichts hinzuzufügen. Auf der Estancia versuchte sie, Emilia so gut wie möglich zu unterstützen, aber wenn sie nach Punta Arenas kamen – entweder um neue Zuchtböcke zu kaufen oder Schaffleisch und Schaffett zu verkaufen –, überließ sie ihr das Zepter. Und wie so oft trug Emilia es gerne. In den letzten sechs Jahren hatte sie sich nicht nur ein umfangreiches Wissen über Schafe und über den Handel mit Fleisch und Wolle angeeignet, sondern auch ein wenig Englisch gelernt, weil es vor allem Engländer waren, die die Tiere züchteten.
Als Rita schutzsuchend zurücktrat, verdrehte Emilia ungeduldig die Augen. Etwas hoffnungsfroher wurde ihr Blick, als er Aurelia traf, die Rita an der Hand führte. Sie war zu einem wissbegierigen Mädchen herangewachsen, das sich von Emilia gern belehren ließ.
»Also, Aurelia«, fragte sie streng, »worauf hat man beim Schafkauf zu achten?«
Das Mädchen reckte stolz den Kopf. Sie hatte von Rita die schwarzen Haare, die bei ihr allerdings nicht glatt, sondern leicht gekräuselt waren, und die dunklen Augen, die weltoffener und nicht ganz so melancholisch in die Welt blickten. Die Haut war heller und um die Nasenspitze von Sommersprossen übersät. Ihr Körper war klein und zart wie der ihrer Mutter, doch anders als diese konnte Aurelia kaum still stehen bleiben, liebte es, sich wie Emilia ins Treiben zu stürzen, und bestaunte fremde Menschen, anstatt vor diesen Scheu zu haben.
»Man muss beachten, ob es ein sauberes, gepflegtes Tier ist, ob sein Blick normal und die Zahnstellung in Ordnung ist«, erklärte sie folgsam.
»So ist es«, lobte Emilia. »Was noch?«
Aurelia schien kurz zu zögern, aber dann fuhr sie selbstbewusst fort: »Man muss das Fell darauf prüfen, ob es vielleicht einen Wollfehler wie Gelbschweiß gibt, und außerdem, ob das Tier gute Muskeln hat. Bei den Böcken muss man achtgeben, dass sie nicht bösartig sind – das kommt manchmal vor – oder gar blind.«
»So ist es, was noch?«
Aurelia zuckte nunmehr etwas hilflos die
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