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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Schweißtropfen auf der Stirn des Tehuelches stehen, wahrscheinlich hatte er Fieber. Seine Augen kippten ins Weiße, und sie hoffte, es wäre ein Zeichen, dass er in gnädige Ohnmacht gefallen war und die Schmerzen nicht mehr fühlen musste. Doch bald fuhr er wieder mit einem Aufschrei hoch.
    »Ich muss … ich muss gehen … werden mich suchen … vielleicht auch hier …«
    »Den Teufel wirst du tun!«, zischte Ana. »Du kannst keinen Schritt gehen mit deiner Verletzung. Du bleibst hier, bis die Wunde geheilt ist … wenn sie denn heilt.«
    »Niemand … niemand darf wissen …«
    »Ja, ich verstehe. Niemand darf wissen, dass du hier bist. Nur ich. Ich … ich werde dir helfen.«
    Sie erhob sich. »Ich hole Wasser, um die Wunde zu reinigen. Vielleicht finde ich noch etwas anderes, um sie zu versorgen.«
    Wenn sich Schafe verletzt hatten, rieben sie die Wunden mit Jodtinkturen ein – vielleicht konnte sie dasselbe bei dem Tehuelche machen. Nachdem sie den Schuppen verlassen hatte, blickte sie sich um, musterte insbesondere den Boden. Der Tehuelche hatte keine Spuren hinterlassen, und selbst wenn, waren sie längst vom Wind fortgewischt worden. Dennoch – was würde geschehen, wenn die Argentinier ihn bis hierher verfolgten?
    Sie presste die Lippen zusammen. Vielleicht würde er die Nacht ohnehin nicht überleben und sich das Problem von selbst lösen. So oder so – sie hatte versprochen, ihm zu helfen, und sie würde sich daran halten.

    Emilia hätte es niemals offen zugegeben, aber seit Balthasar zu Besuch auf der Estancia war, waren die Abende geselliger und unterhaltsamer geworden – und sie genoss es.
    Früher waren sie mit dem Sonnenuntergang schlafen gegangen – nur Ana nicht, die so gut wie nie schlief –, nun saßen sie oft noch lang nach Einbruch der Dunkelheit zusammen. Manchmal leistete ihnen Don Andrea Gesellschaft, einer der Salesianer, die vor über zehn Jahren von ihrem Ordensoberen Don Bosco nach Patagonien geschickt worden waren – zunächst, um sich um die dorthin ausgewanderten Italiener zu kümmern, später, um Indianer zu missionieren.
    Während andere Mitglieder seines Ordens unermüdlich tätig waren – ein gewisser Don Fagnano, der in der Nähe des Rio Negro eine Mädchen- und Jungenschule gegründet und dort auch Indianerkinder aufgenommen hatte –, zählte Don Andrea zu den großen Zauderern, die lieber umständlich darüber sprachen, wie man sich den heidnischen Wilden zu nähern hatte, anstatt es tatsächlich zu tun.
    Obwohl die Mission, in der er lebte, unmittelbar an die Estancia grenzte, hatte er bis jetzt meist auch Emilia, Ana und Rita gemieden. Es schien ihm nicht recht klar zu sein, wie die Frauen zusammengehörten, und er empfand es als obszön, dass die einzigen Männer, die ihnen zwischendurch beim Bewirtschaften des Besitzes halfen, ihre Angestellten waren, nicht etwa ihre Väter oder Ehegatten. Doch Balthasars Ankunft hatte vieles verändert. Zwar war auch dieser hinkende Hamburger mit keiner der Frauen verwandt, aber er erwies sich als freundlicher Mann, der neugierig Fragen stellte und Don Andrea reden ließ – was dieser überaus gerne und wortgewaltig tat. Der Spott, der manchmal in Balthasars Augen funkelte, entging Don Andrea offenbar.
    Obwohl schlank genug, um heucheln zu können, ein Asket zu sein, wurde Don Andrea noch von etwas anderem verführt – nämlich von Emilias Kochkünsten. Nachdem sie einst die Gäste der Herberge mit ihren leckeren Gerichten glücklich gemacht hatte, war sie auf der Estancia etwas nachlässiger geworden. Sie selbst aß nur, um satt zu werden, und Rita und Ana begnügten sich mit den Portionen von Vögelchen. Doch Balthasar bewies einen guten Appetit – und wenn sie sich auch sonst so verhielt, als würde sie über ihn hinwegsehen oder als wäre er ihr lästig, war sie eifrig darauf bedacht, ihn gut zu bewirten, und sehr zufrieden, wenn es ihm schmeckte.
    Schon das Frühstück fiel nun üppiger aus – es gab Porridge mit Milch und Zucker, Brot, Butter, Marmelade und kaltes Fleisch. Zu Mittag setzte sie oft einen große Topf Olla mit Puchero auf – eine dicke Suppe mit großen Fleischstücken und Gemüse. Manchmal hatten sie frische Butter für das Brot, das sie dazu reichte, dann wiederum nur solche aus Konserven. Bei einem der Nachbarn hatten sie Schinken, Speck und Würste gekauft – und Emilia hatte sich dieses Jahr fest vorgenommen, im Herbst selbst zwei Schweine zu kaufen und sie zu schlachten.

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