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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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den Schuppen, die in völliger Dunkelheit lagen. Sie konnte es sich nicht erklären, aber ihr untrüglicher Instinkt sagte ihr, dass sie nicht alleine war, dass sich irgendjemand hinter einer der Holzwände versteckte und sie beobachtete.
    Sie hielt den Atem an, hörte nun nichts mehr außer dem Wind. Entschlossen marschierte sie auf einen der Schuppen zu. Die Tür war verschlossen, aber das hatte nichts zu bedeuten. Wenn sie tatsächlich beobachtet wurde, hatte dieser Jemand vielleicht die Tür eilig hinter sich zugezogen, nachdem sie dieses Krachen gezeugt hatte. Ehe sie die Tür aufstieß, überlegte sie kurz, ob sie zum Haupthaus gehen und jemanden zu Hilfe holen sollte. Aber dann straffte sie den Rücken. Hier draußen in der Wildnis war sie noch mit jeder Herausforderung fertig geworden. Ärgerlich nur, dass sie keine Waffe bei sich hatte – die beiden Gewehre, die sich am besten jeder zulegte, der hier draußen in der Pampa lebte, waren in einem anderen Schuppen verschlossen.
    Immerhin – gleich hinter dem Eingang, das wusste sie, lagen ein paar Schaufeln. Kaum hatte sie die Tür aufgestoßen, griff sie nach einer. Notfalls konnte sie sich damit schützen. Mit beiden Händen hielt sie den Stiel gepackt. Obwohl sie nichts sehen konnte, fuchtelte sie damit drohend durch die Luft. Wieder konnte sie sich nicht erklären, woher die Unruhe rührte, aber ihr Frösteln verstärkte sich, in ihrem Magen grummelte es.
    »Ist da jemand?«
    Keine Antwort.
    In der Nähe der Tür konnte man noch Konturen erkennen, der hintere Teil des Schuppens lag in vollkommener Dunkelheit. Dennoch machte sie einen Schritt dorthin, zögerte wieder, lauschte.
    »Wer ist da?«, bellte sie.
    Kurz glaubte sie ein Ächzen zu hören, doch es war bereits wieder verklungen, noch ehe sie einschätzen konnte, aus welcher Richtung es kam.
    Sie drehte sich einmal im Kreis, und als sie wieder stillstand, spendete der Mond, der eben noch von Wolken verhangen war, sein silbriges Licht. In seinem fahlen Schein sah sie an der hinteren Wand des Schuppens eine gekrümmte Gestalt hocken.
    Entsetzt schrie sie auf, doch die Gestalt rührte sich nicht. Wieder erklang ein Ächzen, aber das hatte wenig mit einem menschlichen Laut gemein. Wer immer hier Zuflucht gesucht hatte, war viel zu schwer verletzt, um ihr gefährlich zu werden.

    Ana kniete vor dem Fremden und versuchte, seinen Kopf zu stützen. Sie war ihrem ersten Reflex gefolgt und auf ihn zugestürzt und überlegte erst jetzt, ob das klug gewesen war. Auch wenn diese gekrümmte Gestalt zu schwach war, um ihr ein Leid zuzufügen, wäre es gewiss besser, Hilfe zu holen. Sie wollte den Kopf schon sinken lassen, als erneut das Ächzen ertönte.
    »Bitte … Bitte … Hilfe …«
    Im schwachen Schein des Mondlichts erkannte sie, dass dieser Mann, der hier kauerte, der größte war, den sie je gesehen hatte – nun gut, vielleicht war Pedros Leib insgesamt voluminöser, weil dicker, aber gewiss nicht so riesig.
    Über zwei Meter musste er groß sein, und alles an ihm war lang: seine Füße, seine Hände, seine Gliedmaßen. Allein der Kopf war so schwer, dass sie ihn kaum halten konnte, und seine Schulter gewiss doppelt so breit wie die eines schmächtigeren Zeitgenossen. Diese Schultern waren ebenso nackt wie seine Beine. Nur um Bauch und Hüften war ein Fell gewickelt, und dieses Fell war kalt und starr: Blut musste hineingesickert sein und es durchtränkt haben, Blut, das zum Teil längst getrocknet war und zum Teil frisch aus einer Wunde strömte.
    Seine Größe und seine Kleidung verrieten Ana, wer dieser Mann war – ein Tehuelche, einer jener Ureinwohner Patagoniens, von denen der Missionar berichtet hatte, der manchmal bei ihnen zu Gast war. Ana hörte dessen Ausführungen meist nicht zu, aber sie konnte sich erinnern, wie er vom Erstaunen der ersten Weißen berichtet hatte, als diese hier regelrechte Riesen angetroffen, sie zunächst für Fabelwesen gehalten und das Land schließlich nach diesen »Großfüßlern« benannt hatten: Das spanische Wort für Beine lautet Pata – und daraus wurde Patagonien.
    Aus der Ferne hatten sie schon mehrmals einige dieser Tehuelche gesehen. Emilia war vor ihnen auf der Hut, obwohl der Missionar stets beteuerte, sie seien nicht gefährlich, zwar ein ungemein stolzes, aber zugleich friedliches Volk. Sie lebten vom Handel und von der Jagd, wobei diese von den Zäunen erschwert wurde, die die weißen Estancieros errichtet hatten. Deswegen hätten sich einige

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