Jenseits von Feuerland: Roman
Zum Abendessen servierte sie entweder kalten Fleischsalat, Ragout oder Braten, dazu Kartoffeln oder Reis.
Nachdem der Tisch längst leer geräumt war, saßen sie entweder bei Kerzenlicht oder im Schein einer Petroleumlampe beisammen und redeten. Das hieß, Balthasar stellte Fragen und Don Andrea antwortete, und obwohl Emilia vieles schon gehört hatte, lauschte sie ebenso interessiert wie Rita. In Patagonien gab es viele seltsame Käuze, die durch die lange Einsamkeit wunderlich geworden sind, wie manche Geschichten bekundeten – es hatte wahrscheinlich sein Gutes, nicht immer nur allein zu leben.
Aurelia weigerte sich an diesen Abenden, früh zu Bett zu gehen, und schlief irgendwann auf Ritas Schoß ein. Meist reichte sie sie wenig später unter irgendeinem Vorwand an Emilia weiter, und die tat so, als würde sie nicht bemerken, dass die körperliche Nähe zu ihrem Kind Rita eine Last war und dass sie sie nur kurz, nicht über Stunden, ertragen konnte. Was Rita ebenso unangenehm zu sein schien, wenngleich sie auch dieses Unbehagen nicht zeigte, war, dass Don Andrea ausufernd über seinen Missionierungsauftrag und über die Indianerstämme Patagoniens sprach. Emilia ahnte, was in ihr vorging: Rita selbst war zwar getauft und in einer Mission aufgewachsen, aber wahrscheinlich wäre Don Andrea dennoch entsetzt, wüsste er eine Indianerin mit ihm am Tisch sitzen.
Emilia selbst hingegen fand es durchaus faszinierend, was er von den Völkern der Pampa zu erzählen hatte.
»Sie sind stolz und wild«, berichtete er, »und mit guten Worten allein erreicht man sie nicht. Die ersten Jesuiten, die hierherkamen, mussten ihnen Rosinen und Zwieback schenken, damit sie sie überhaupt in ihre Nähe ließen. Nach und nach lernten die Jesuiten ihre Sprache, um sie zu bekehren, doch die Indianer ließen sich nur taufen, um Ponchos und Schnaps einzutauschen. Sobald sie genug davon hatten, waren sie nie wieder in den Missionen gesehen.«
»Und wie viel haben Sie bereits getauft?«, fragte Balthasar.
Emilia konnte sich nicht vorstellen, dass es sonderlich viele waren – vor allem dann nicht, wenn Don Andrea so viel Zeit auf ihrer Estancia verbrachte wie in diesen Wochen. In der Tat gab er zu, dass es lediglich vier gewesen seien, um sich sogleich zu verteidigen: »Was nützt es aber auch, die Anzahl der Neugetauften in die Höhe zu treiben, wenn dieses heilige Sakrament für die Beteiligten nur ein Spiel ist. Eine ernsthafte Bekehrung ist notwendig!«
Er fuchtelte mit den Händen, um die Worte zu unterstreichen.
»Ich habe gehört«, schaltete sich Emilia ein, »dass sich die Indianer von Feuerland nur taufen lassen, damit sie ein Schreiben der Mission erhalten. Das wiederum erklärt, dass sie keine Wilden seien, sondern freundlich – und bewahrt sie davor, als Schafdiebe am nächsten Baum gehängt zu werden.«
»Auch das ist nicht recht, wenngleich verständlich«, meinte der Missionar kopfschüttelnd. »Auf diese Weise wird das Bekenntnis zu Christus erzwungen und kommt nicht von Herzen. Viele meiner Brüder begnügen sich damit – ich hingegen nicht.«
Don Andrea sprach ein merkwürdiges Spanisch. Manche Sätze klangen eher so, als würde er sie singen, und ständig warf er italienische Worte ein. Nun straffte er stolz den Nacken. Emilia hatte den Verdacht, dass es ihm herzlich egal war, ob das Bekenntnis der Indianer nun freiwillig ausfiel oder nicht – Hauptsache, sie kamen ihm nicht zu nahe. Wenn sie um seine Mission schlichen und ihn neugierig betrachteten, zwang er sich zwar dazu, sie zum Mate-Tee einzuladen, aber umgekehrt – so war aus seinen Worten herauszulesen – suchte er nie die Nähe der kleinen Zeltstädte.
»Warum auch?«, meinte er, als Balthasar nachfragte. »Sie haben keinen festen Wohnort, ziehen als Nomaden durch die Pampa. Was hilft es, sich mühsam ihr Vertrauen zu erarbeiten, wenn sie doch über Nacht wieder verschwunden sind?«
Etwas Mühevolles zu tun lag Don Andrea ganz und gar nicht. Immerhin war er den Tehuelche sehr dankbar dafür, dass diese Missionare wie ihn niemals feindselig behandelten.
»Sie haben großen Respekt vor unsereins«, beantwortete er eine weitere Frage. »Sie betrachten uns als so etwas wie ein übernatürliches Wesen – was allerdings nichts nützt, um ihre Herzen zu erreichen. Sie respektieren unsere Traditionen – und halten an den eigenen Bräuchen fest.«
Ausufernd begann er nun, über diese Bräuche zu erzählen, doch Emilia hörte nicht länger zu.
Weitere Kostenlose Bücher