Jenseits von Feuerland: Roman
Hinter ihr erklang das Quietschen der Tür, und als sie herumfuhr, sah sie, wie Ana unauffällig ins Haus huschte. Meist blieb sie den abendlichen Zusammenkünften fern, und ihre Meinung von Don Andrea war denkbar gering – was weniger an ihm persönlich lag als an den vielen Priestern, die sie einst in Ernestas Bordell empfangen hatte. Sie schloss von einigen auf alle, hieß die Mitglieder dieser Zunft Heuchler und ließ kein gutes Haar an ihnen.
Nun blieb sie dennoch auf der Schwelle zur Stube stehen und gab vor, Don Andrea aufmerksam zu lauschen. Emilia beobachtete sie misstrauisch, denn seit einigen Tagen kam sie ihr verändert vor: Eigenbrötlerisch war sie immer gewesen, und dass sie Einsamkeit suchte und genoss, war nichts Neues, doch wenn sie nun von den nächtlichen Streifzügen über die Estancia ins Haus kam, wirkte sie abwesend und wich Emilias Blick aus. Bis jetzt schob sie es auf die Anwesenheit von Balthasar und Don Andrea, aber nun verstand sie nicht, warum sie überhaupt ins Haus gekommen war, wenn sie die beiden doch meiden wollte. Wenn Emilia es recht überlegte, verbrachte sie seit etwa einer Woche ungleich mehr Nächte im Haus als sonst.
Sie erwog, ob sie nachbohren sollte, entschied sich jedoch dagegen. Wenn Ana mit ihr über etwas hätte reden wollen, dann hätte sie es getan – gab es hingegen etwas, was sie verschweigen wollte, dann würde weder gutes Zureden noch strenge Forderungen sie dazu bewegen, den Mund aufzutun.
So unterdrückte Emilia ein Seufzen, wandte sich wieder Don Andrea zu und lauschte, wie er nun über die verschiedenen Stämme der Pampa erzählte. Neben den großen Tehuelche und Aonikenk gäbe es die Onas auf Feuerland oder die Yamanas rund um den Beagle-Kanal. Letztere wären fast ausgestorben, nämlich an Krankheiten zugrunde gegangen, die die Weißen gebracht hätten. Die wenigen Überlebenden fingen Fische, jagten Robben und …
Don Andrea riss ab und blickte irritiert hoch.
Im gleichen Moment hörte es Emilia, und sie sah, wie auch Rita ob des zu dieser Tageszeit ungewohnten Lauts zusammenzuckte: Pferdegetrampel, so laut, dass es nicht nur von einem Tier stammte. Ana hatte es als Erste vernommen, denn schon war sie zur Tür getreten und lugte durch die Spalten des morschen Holzes.
»Ihr bekommt jetzt noch Gäste?«, fragte Balthasar verwundert.
»Keine, von denen ich wüsste«, meinte Emilia. Sie wollte die schlafende Aurelia an Rita übergeben, doch als diese keine Anstalten machte, sie ihr abzunehmen, stand Balthasar auf und nahm das Kind in die Arme.
»Es … es könnte Pedro sein«, sagte Ana. Ihr Gesicht war vermeintlich gleichmütig wie immer, doch Emilia entging nicht, dass ihre Stimme etwas zitterte.
Das Getrampel schwoll an und vermischte sich mit Stimmen. Schon hörten sie Männer von ihren Pferden springen und Schritte, die den Patio überquerten.
»Pedro würde nicht im Dunkeln unterwegs sein«, sagte Emilia und ließ unausgesprochen, was alle wussten: dass Pedro für gewöhnlich die Dunkelheit fürchtete und all seine Erledigungen am liebsten bei Tageslicht ausführte.
Als ein lautes Klopfen ertönte, machte sich Rita unwillkürlich noch kleiner, und auch Don Andrea schien sich am liebsten hinter dem Tisch verstecken zu wollen. Emilia hingegen trat energisch auf die Tür zu, schob Ana zur Seite, als die keine Anstalten machte, sie zu öffnen, und tat es selbst.
Im nächsten Augenblick traf sie das Licht von Fackeln so grell, dass sie kurz nichts anderes erkennen konnte als riesige Schatten. Erst als endlich die Fackeln gesenkt wurden, sah sie, dass vier hochgewachsene Männern vor ihr standen.
»Was wollt ihr?«, fragte sie grußlos und versuchte, dabei herrisch zu klingen. Im Umgang mit Angestellten und Nachbarn erlaubte sie sich hier in der Wildnis nie auch nur die leiseste Unsicherheit.
Einer der Männer scharrte mit dem Fuß in der Erde.
»Von euch wollen wir gar nichts«, erklärte er knapp und ebenfalls grußlos. »Aber wir suchen eine Gruppe Rothäute. Schafdiebe allesamt. Sie müssen irgendwo hier in der Nähe sein.«
Emilia atmete erleichtert aus. Der unerwartete Besuch hatte nichts mit ihnen zu tun, würde keine Probleme bringen.
»Wir haben nichts Ungewöhnliches beobachtet«, erklärte sie. »Und uns sind auch keine Schafe gestohlen worden.«
Sie wollte schon die Tür schließen, als einer der vier auf die Schwelle trat. »Würde es euch etwas ausmachen, wenn wir uns selbst ein wenig … umsehen?«
Der Geruch von
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