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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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reich, oder nicht? Nicht nur, dass sie genug zu essen hatten, sie trugen doch allesamt Schuhe und Strümpfe!
    Endlich erreichten sie den Wald. Blätter rauschten, das Geäst knarrte im Wind, die Araukarien dufteten durchdringend. In der Ferne ertönte der ebenso kräftige wie melodische Ruf eines Vogels.
    »In Deutschland«, erzählte Emilia, »dem Land, aus dem meine Eltern stammen, verlieren die Bäume im Winter ihre Blätter. Hier nicht. Ich würde das so gerne einmal sehen – nackte Bäume! Stell dir das nur vor!« Sie lachte auf, wurde dann aber rasch wieder ernst. »Früher wollte ich unbedingt zurück nach Deutschland gehen. Aber jetzt …«, sie zuckte ihre Schultern, dann begann ihr Gesicht wieder zu strahlen, »jetzt werde ich Manuel heiraten. Schon nächste Woche.«
    Der junge Mann hatte – wie von Emilia gefordert – in den letzten Tagen stets Abstand zur Mapuche-Frau gehalten. Nun ging ihr durch den Kopf, dass das gar nicht nötig war. Unmöglich konnte sie vor einem Mann Angst haben, über den Emilia mit diesem glücklichen Lächeln sprach! Emilia, der sie als Erstes begegnet war! Die ihr zu essen gegeben, an ihrem Bett gesessen, sie getröstet und ihr vorgelesen hatte! Sie vertraute Emilia – vertraute ihr mehr als allen anderen Frauen hier.
    »Du … du hast ihn gern«, murmelte die Mapuche-Frau.
    »Aber ja doch!«
    »Du musst glücklich sein.«
    »Und wie!«
    Eine Weile spazierten sie am Waldrand entlang, dann traten sie ins Dickicht. Hier und da musste man Wurzeln und Schlingpflanzen ausweichen, doch sie wuchsen nicht besonders dicht. Die deutschen Siedler hatten wohl über Jahre all das lästige Unkraut immer wieder ausgerissen. Vereinzelt drangen Sonnenstrahlen durch das Blätterdach. In der Ferne fiel ihr Schein, der hier eher grünlich als gelblich wirkte, auf ein paar Kreuze.
    Auch Emilia hatte sie gesehen und schien unmerklich den Weg ändern zu wollen, damit sie sie nicht passieren mussten, doch die Mapuche-Frau widersetzte sich ihrer Führung, riss sich von ihr los und stapfte auf die Kreuze zu.
    »Ich will es sehen!«, bestand sie.
    Emilia folgte nur widerstrebend.
    Der Friedhof. Das musste der Friedhof sein. In der Nähe ihrer Mission gab es ebenfalls einen, denn Bruder Franz hatte schon vor vielen Jahren durchgesetzt, dass die Verstorbenen nach christlichem Brauch begraben wurden. Bei der Gestaltung der Feierlichkeiten hatte er jedoch sein Nachsehen gehabt. Anstatt zu singen und zu beten, verabschiedeten sich die Mapuche von ihren Verstorbenen mit lautem Getrommel und Tanz.
    Doch niemand hatte getrommelt und getanzt, als Bruder Franz, als ihr Vater, als ihre Großmutter gestorben waren, schoss es der jungen Frau nun durch den Kopf.
    Die vielen Toten der Mission … Sie waren alle nicht begraben worden … Sie, die einzige Überlebende, war einfach fortgelaufen. Schutzlos lagen sie gewiss immer noch unter dem weiten Himmel, gierigen Geiern ausgeliefert und Raubtieren, die das Blut und Fleisch wittern würden.
    Sie erbleichte, als sie daran dachte, dass von dem duftenden, strammen Leib der Großmutter wohl nichts mehr übrig war als Knochen.
    »Was … was hast du denn?«, fragte Emilia besorgt.
    Die Frau schüttelte den Kopf. Sie durfte nicht daran denken! Sie durfte sich nicht umdrehen! Sie musste vergessen!
    Sie war jetzt in Sicherheit, ihre Wunden waren geheilt, sie hatte genug zu essen bekommen, sogar neue Kleider. Jetzt brauchte sie nur noch einen Namen.
    Die Gräber trugen allesamt Namen. In die Holzkreuze waren sie eingeritzt, und die Mapuche-Frau versuchte, sie zu entziffern. Richard von Graberg stand auf dem einen. Lukas Steiner auf einem anderen. Ricardo Steiner war außerdem zu lesen, Taddäus Glöckner und Juliane Eiderstett.
    »Alles deutsche Siedler«, sagte Emilia. »Juliane Eiderstett – das war Jule. Von ihr habe ich dir schon erzählt. Ricardo war der kleine Bruder von Manuel. Er ist schon als Kind gestorben. Richard und Taddäus starben während eines Überfalls der …«, sie biss sich auf die Lippen, »aber das ist nicht so wichtig.«
    Etwas abgeschieden lag noch ein weiteres Grab. Die junge Frau eilte darauf zu, Emilia hingegen blieb in ausreichendem Abstand stehen. Ihre Miene wirkte plötzlich düster, ihr Körper versteifte sich.
    »Margareta Suckow«, las die Mapuche-Frau. Verwundert drehte sie sich zu Emilia um. Dieser Cornelius, von dem ihr Vater oft gesprochen hatte und der Emilias Vater war – hieß der nicht auch Suckow?
    »Bist du … bist

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