Jenseits von Feuerland: Roman
dunkles Haar gedeutet und gemeint, dass auch ihr die Zöpfe, die diese sich flochten, gut stehen würden. Rita hatte entschieden den Kopf geschüttelt – Ana dagegen trug seitdem die Haare nicht länger in einem, sondern nach Tehuelche-Art in zwei Zöpfe gebunden. Da ihre Strähnen jedoch nicht lang und glatt waren, sondern lockig und spröde, lösten sie sich spätestens zur Mittagszeit wieder auf. Womit sie mehr Erfolg hatte, war, sich mit zwei perfekt aufeinandersitzenden Muscheln die Augenbrauen zu zupfen. Auch nachdem Emilia spöttisch gemeint hätte, dass es den Schafen herzlich gleich wäre, wie viel Haare man im Gesicht trüge, hatte sie nicht damit aufgehört. Dass diese Schönheitspflege jedoch irgendetwas mit Maril zu tun hätte, leugnete sie entschieden.
Dieser reichte Ana gerade etwas.
»Was ist das?«, hörte Rita Ana fragen und trat neugierig näher.
»Nadel und Faden«, erklärte er knapp.
Auf den ersten Blick konnte Rita nichts dergleichen erkennen, doch dann sah sie, dass er einfach einen großen Dorn genommen hatte, ein kleines Loch hineingeschnitten und schließlich eine Straußensehne eingefädelt hatte.
»Und was soll ich damit?«, fragte Ana unwirsch.
Er deutete auf seine ledernen Beinkleider. Eines hing in Fetzen um sein Knie. »Ich bin an einem Busch hängengeblieben. Und ich dachte, du könntest das für mich nähen.«
Ana fuhr zurück. »Warum sollte ich?«
Marils glattes Gesicht verdunkelte sich. »Die Frauen meines Stammes tun immer, worum man sie bittet.«
»Pah!« Ana lachte trocken, als Maril noch skeptischer die Stirn verzog. »Die Frauen deines Stammes, so heißt es, reden auch nur dann, wenn sie von Männern dazu aufgefordert werden. Doch hast du hier auf dieser Estancia auch nur einmal erlebt, dass es so wäre?«
Maril ließ die Nadel sinken. »Deswegen haben unsere Männer drei, vier, manche sogar fünf Frauen«, sagte er leise, »damit wenigstens eine gehorcht, wenn sich die anderen als störrisch erweisen.«
Ana kniff die Lippen zusammen und beugte sich wieder über den Waschzuber – Ritas Lächeln hingegen wurde noch breiter. Mittlerweile war sie sich sicher, dass Maril sie mit Absicht provozierte – wäre es ihm allein darum gegangen, dass die zerrissenen Beinkleider genäht wurden, hätte er sich schließlich an sie gewandt, die darin die Geschickteste war. Sein Gesicht war immer stolz und ausdruckslos, und wenn Ana manche Sitte seines Volkes lächerlich machte, erschien ein strenger Zug um seinen Mund. Dennoch hatte Rita es oft erlebt, dass er ihren Widerspruch geradezu herausforderte und sich über ihre schnippischen Worte amüsierte.
Auch darin, dachte Rita manchmal, glichen Ana und Emilia einander wie Schwestern. Die beiden hatten so oft ums nackte Überleben gekämpft, dass alles zum Kampf wurde, und sei es ein nettes Geplänkel.
Eine andere Bewohnerin der Estancia zeigte unterdessen ihre Wiedersehensfreude ungleich deutlicher als die spröde Russin. Maril wollte sich gerade um sein Pferd kümmern, als Aurelia auf ihn zugelaufen kam.
»Maril!«, rief sie aufgeregt und breitete die Arme aus.
Anders als Balthasar hatte dieser riesige Mann ihr anfangs Angst eingejagt. Sie hatte ihn zwar stets fasziniert gemustert und manche Frage gestellt – Berührungen aber gescheut. Doch irgendwann einmal hatte er beim Abendessen erzählt, dass die Kinder seines Volkes sehr ungezogen waren, weil sie schlichtweg alles machen durften, was sie wollten.
»Alles?«, hatte Aurelia begeistert gefragt.
»Ja doch! Man lässt ihnen immerzu ihren Willen«, hatte er geantwortet und nach einer Weile hinzugefügt: »Außerdem laufen sie nackt herum.«
»Und wenn es kalt wird?«
»Dann werden sie mit Straußenfett eingerieben – aber nackt bleiben sie trotzdem.«
Aurelia hatte das ungeheuer beeindruckt, und danach war die Furcht vor diesem Riesen verflogen.
Nun hob Maril sie kurz hoch, setzte sie jedoch rasch wieder auf den Boden. Nie zeigte er, dass ihm etwas an dem Mädchen lag. Zwar durften die Kinder bei den Tehuelche machen, was sie wollten – aber es war auch Gesetz, dass sich die Männer nicht mit ihnen abgaben. Rita nahm an, dass es ihnen der Stolz verbot – gleicher Stolz, der Maril auch dazu verpflichtete, sich stets aufs Neue mit Geschenken und Arbeit dafür erkenntlich zu zeigen, dass Emilia ihn damals nicht von der Estancia gejagt hatte.
»Spielen wir wieder Steinewerfen?«, fragte Aurelia aufgeregt. »Und lässt du mich auf dem Pferd reiten? Und hast du
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