Jenseits von Feuerland: Roman
deine Würfel dabei?«
Maril runzelte die Stirn, aber um die Lippen erschien die Andeutung eines Lächelns. Auch wenn er so tat, als läge ihm nichts an Aurelia – dass seine Leidenschaft fürs Würfelspiel so groß war wie ihre, konnte er nicht verbergen. Eigenhändig hatte er die Würfel aus Tierknochen geschnitzt und sie, wie bei den Tehuelche üblich, mit den Zahlen 1, 2, 3, 4, 5 und 9 beschriftet.
Auch jetzt schien er zu einem neuen Spiel bereit, aber Rita trat dazwischen. »Jetzt lass Maril doch erst einmal in Ruhe ankommen«, forderte sie ihre Tochter auf.
Als Maril sie erblickte, zog er etwas aus einer Satteltasche und breitete es schweigend vor ihr aus – seine übliche Art, die Geschenke zu übergeben, die er von der Jagd mitbrachte. Diesmal war es das Leder eines Guanakos, über das Rita ehrfürchtig strich. »Wie glatt es ist!«, staunte sie.
»Und ich will wieder mit dir rechnen!«, rief Aurelia dazwischen.
Dies erstaunte Rita an der sonderlichen Freundschaft zwischen dem Tehuelche und ihrer Tochter am meisten – dass Aurelia mit Maril so gerne rechnen übte, obwohl es doch so schwer war, sie zum Stillsitzen zu überreden. Abwechselnd mit Balthasar und Emilia mühte sie sich schon lange, ihr das Schreiben beizubringen, doch so geschickt sie mit dem Kohlestift zeichnen konnte – die Buchstaben gerieten wackelig, und es dauerte Ewigkeiten, bis sie das erste Wort lesen konnte. Dank Maril aber hatte sie jedoch in Windeseile gelernt, bis tausend zu zählen – mehr Zahlen kannten die Tehuelche gar nicht –, und er hatte ihr auch gezeigt, wie man mit Hilfe von Grashalmen, Blättern und Holzstücken verschiedene arithmetische Berechnungen anstellte.
Rita nahm das Leder an sich und überlegte, mit welchen kunstvollen Mustern sie es versehen würde. Nicht nur Aurelia hatte im vergangenen Jahr viel von Maril gelernt, sondern auch sie – nämlich alles über die Herstellung von Farben. Mittlerweile war sie sehr schnell beim Bemalen von Leder. »Beinahe so schnell wie Frauen meines Stammes«, sagte Maril oft, obwohl sie es nicht gerne hörte.
Seine dunklen, großen Augen folgten ihr, als sie das Leder zu einem kleinen Häuschen brachte. Erst vor kurzem hatten Emilia und Balthasar es errichtet – ihr ganz persönliches Reich, wo sich ein größerer Webstuhl befand und wo sie Farben und Wolle, Stoffe und Leder aufbewahrte.
Nahezu lautlos kam Maril ihr nach, blieb jedoch an der Tür stehen, anstatt die Schwelle zu übertreten. »Ich frage mich, warum du es weiterhin leugnest«, kam es mit seiner kehligen Stimme.
»Was?«, fragte sie vermeintlich unwissend.
»Nun, wer du bist.«
Rita schwankte zwischen Betroffenheit und Ungeduld. Es war nicht zum ersten Mal, dass Maril dergleichen zu ihr sagte. Immer wieder kam er auf ihre wahre Herkunft zu sprechen. Anfangs war er mit dem Thema noch behutsam umgegangen – nun stellte er solche Fragen ohne Umschweife.
»Du lässt nicht locker«, seufzte sie. »Hast du nicht einmal erzählt, dass Menschen deines Volkes nicht neugierig sind? Und dass sie keine unnötigen Fragen stellen?«
»Ich bin nicht neugierig. Ich weiß, dass du eine Mapuche bist.«
»Weil Ana es dir erzählt hat.«
»Nein, weil ich es fühlen kann.«
Als Rita ihn anstarrte, konnte sie ihr Entsetzen kaum verbergen. Sie stand nicht mehr jeden Tag vor dem Spiegel wie einst, um zu prüfen, ob sie einer Spanierin glich, sie ahnte, dass wohl auch Don Andrea die Wahrheit wusste. Und dennoch: Sie war nicht gewöhnt, dass man diese Wahrheit aussprach. Die anderen waren viel zu höflich und rücksichtsvoll dazu – mit Ausnahme von Maril.
»Das ist nichts, wofür man sich schämen muss«, sagte er rasch. »Willst du denn lieber eine Huinca sein?«
Rita schüttelte den Kopf. »Ich weiß«, sagte sie leise, »du bist stolz darauf, wer du bist. Aber bist du auch stolz darauf, dass du zusehen musstest, wie die anderen deines Stammes erschossen worden sind? Dass du monatelang vergebens nach einem Überlebenden gesucht, aber keinen gefunden hast? Bist du stolz, dass du jeden Tag, wenn du durch die Pampa reitest, damit rechnen musst, dass irgendjemand dich als Schafdieb denunziert und dich einfach abknallt?«
»Stolz ist das Kostbarste, was mir geblieben ist.«
Rita seufzte wieder. Manchmal war sie neidisch auf seine erhabene Haltung und dass er nie von Furcht zerrieben wirkte wie sie: Furcht, dass Jerónimo und Esteban auf die Estancia zurückkehrten, auch, wenn es bis jetzt keine Anzeichen
Weitere Kostenlose Bücher