Jenseits von Feuerland: Roman
konnte mich nicht rühren!«, hörte Ana Rita verzweifelt klagen. »Ich hätte mich wehren sollen, aber ich konnte einfach nicht …«
»Scht, scht«, machte Balthasar. »Es ist vorbei. Es ist doch alles vorbei. Er ist fort.«
»Aber ich war nicht unbewaffnet! Ich trug doch meine Schere bei mir! Wenn ich zugestochen hätte, ich hätte mich befreien können, aber … aber ich war gelähmt. Ich könnte mich ohrfeigen dafür!«
»Du hattest Angst vor ihm, da ist es doch nur zu verständlich, dass du wehrlos warst!«
»Aber ich will keine Angst mehr haben! Ich will nicht mehr sein … Opfer sein! Ich will nicht, dass sie Macht über mich haben, Esteban oder Jerónimo oder wer auch immer. Ich will … ich will ein glückliches Leben führen – mit dir.«
Ihre Stimme wurde heiser, und ihre Augen begannen plötzlich zu glänzen. Und dann – Ana musste trotz ihrer Sorge um Maril lächeln, als sie es sah – fuhr ihr Kopf nach vorne, und sie drückte ihre Lippen auf die von Balthasar. Kurz stand der wie erstarrt da, dann erwiderte er den Kuss und zog sie fest an sich. Kaum hielten sie sich, schienen sie sich nie wieder loslassen zu wollen.
Eine Weile konnte Ana ihren Blick nicht von ihnen reißen. Für gewöhnlich widerte sie der Anblick ineinander verschlungener Leiber an, erinnerte er sie doch an Zeiten ihres Lebens, die sie für immer vergessen wollte. Doch Balthasars und Ritas innigliche Umarmung verhieß so viel Vertrautheit und Nähe, und auch, dass Liebe und Lust nicht quälend, sondern ebenfalls erfüllend sein konnten. So schön es war, die beiden zu beobachten – zugleich hatte es etwas Unerträgliches, davon ausgeschlossen zu sein. Am Ende senkte sie ihren Blick und sah erst wieder hoch, als sie Pferdegetrampel hörte. Mit Mühe verkniff sie sich einen erleichterten Ausruf, als Maril endlich auf sie zugeritten kam, und versuchte stattdessen, ihm möglichst gleichgültig entgegenzublicken.
»Hast du ihn weit genug fortgebracht?«, fragte sie.
Er antwortete nicht, sondern deutete auf Balthasar und Rita, die nicht aufhören wollten, sich zu küssen.
»Na endlich«, stellte er fest. »Hat ja Ewigkeiten gedauert.«
»So ist es«, sagte Ana mit der kalten, spöttischen Stimme, die ihr eigen war. »Aber auch dem dümmsten Schaf gehen irgendwann die Augen auf.«
Er sprang vom Pferd und blieb starr daneben stehen, einer steinernen Statue gleich, der weder Furcht noch Schmerzen etwas anzuhaben vermochten. Ana konnte meist nicht anders, als ihn hingerissen anzustarren, doch heute verkniff sie sich auch das.
»Und du?«, fragte er angelegentlich. »Willst du auch einen Mann?«
»Wenn mir irgendwas am wenigsten fehlt, dann ein Mann … Und außerdem«, fuhr sie rasch fort, »kein Mann würde mich wollen.«
»Warum nicht?«
»Ha!«, lachte sie auf. »Du beschwerst dich doch selbst ständig, dass ich dich nicht bediene wie die Frauen deines Stamms.«
Seine Miene blieb ausdruckslos. Was hätte sie dafür gegeben, einmal in seinen Kopf blicken zu können, um zu erfahren, was er wirklich dachte! Nie konnte sie sich dessen sicher sein. Manchmal fragte sie sich, ob er sie nicht insgeheim alle verachtete. Dann wiederum dachte sie, dass er sie sehr gern haben müsste, weil er sonst nicht immer und immer wieder zur Estancia zurückkehren würde.
»Es gab oft Ehen zwischen Indianerinnen und Spaniern«, erklärte er ernsthaft. »Die Kinder, die daraus hervorgingen, waren meist etwas anders – aber auch sie haben gelernt, sich richtig zu verhalten.«
»Du denkst also, ich könnte es noch lernen, die Frau zu sein, die deinesgleichen sich wünscht? Vergiss es! Und selbst wenn ich dazu bereit wäre, so würde mich trotzdem kein Mann mehr wollen, weder ein Weißer noch einer von deinem Stamm. Aber das macht nichts, im Gegenteil. Mir fehlt nichts. Rein gar nichts.«
Nachdenklich blickte er sie an. »Warum würde dich keiner wollen?«
Wie abgründig schwarz seine Augen waren! Manchmal machte ihr dieser dunkle Blick Angst, manchmal war er einfach nur faszinierend. Sie hatte in so viele Gesichter gesehen, in gierige, berauschte, abfällige, zornige, aber nie in das eines Mannes, der sich so vollkommen beherrschte.
»Ich war eine Hure«, sagte sie und klang fast stolz dabei, »ich habe so viele Männer gehabt, dass ich sie unmöglich zählen könnte.«
Er zuckte kaum merklich die Schultern.
»Siehst du!«, rief sie hastig. »Auch dich widert es an!«
Seine Miene regte sich immer noch nicht. »Die Frauen unseres
Weitere Kostenlose Bücher