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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Stammes dürfen sich vor der Ehe so viele Männer nehmen, wie sie wollen«, meinte er gleichmütig
    »Wirklich?«, entfuhr es ihr überrascht. Sie wusste mittlerweile viel über die Tehuelche, aber das noch nicht. Vielleicht hatte auch Don Andrea noch nie davon gehört – vielleicht aber konnte er es ihnen einfach nicht erzählen, weil es ihm als abscheulich erschien.
    »Sie … sie nehmen sich einfach die Männer, die sie wollen?«, fragte sie.
    Er nickte. »Niemand verurteilt sie dafür.«
    »Und die Männer«, fragte sie, »können sich diese auch einfach Frauen nehmen?«
    »Auf keinen Fall mit Gewalt. Die Frau muss damit einverstanden sein. Und es ist undenkbar, dass Männer Frauen schlagen.«
    Ana musste grinsen. »Dein Volk ist mir sympathisch.«
    »Wenn du also einen Mann nehmen würdest, wäre es dann ein Tehuelche?«
    Seine Stimme blieb ernst und gleichmütig, aber seine Lippen verzogen sich zu der Andeutung eines Lächelns.
    Ana erblickte erhaben darüber hinweg. »Wie gesagt – ich brauche ja keinen.«
    Sie wandte sich wieder Rita und Balthasar zu. Wahrscheinlich waren diese schon erstickt, so lange wie sie sich küssten, ohne Atem zu holen.
    Jetzt endlich lösten sie sich voneinander und blickten sich hingebungsvoll an.
    »Ich habe mich nicht gewehrt«, stammelte Rita wieder. »Ich hätte mich gegen Esteban wehren müssen, heute, damals, und auch gegen Jerónimo, aber ich konnte es nicht. Doch zumindest sollen sie keine Macht mehr über mein Leben haben! Das dürfen sie nicht!«
    Er streichelte über ihre Wange. »Hör endlich auf, über die beiden Mistkerle zu reden! Sag mir lieber, dass du mich heiraten willst.«
    Ana sah, wie Rita zurückzuckte und eine Weile brauchte, bis sie sich gesammelt hatte. »Aber ich bin eine Mapuche«, rief sie kläglich.
    Balthasar ließ sie nicht los. »Na und? Du bist eine Mapuche, und ich bin hässlich wie die Nacht. Ich finde, du hast es viel besser getroffen. Also: Heiratest du mich?«
    Ana hörte nicht, welche Antwort Rita hauchte – aber offenbar musste es eine zufriedenstellende sein, denn Balthasars Gesicht leuchtete auf, und dann lagen sie sich schon wieder in den Armen und küssten sich.
    »Na endlich!«, stieß sie aus und merkte erst später, dass sie die gleichen Worte benutzt hatte wie eben noch Maril.

    Esteban konnte sich nicht erinnern, sich jemals so elend gefühlt zu haben. Nun gut, auch damals, als er angeschossen worden war, hatten ihn schreckliche Schmerzen gequält. Doch nun kam zu den unerträglichen Schmerzen die Schande, in diesem kläglichen Zustand durch die Straßen von Punta Arenas humpeln zu müssen.
    Er wusste – eigentlich hätte er Erleichterung und Dankbarkeit empfinden müssen, es überhaupt in die Stadt geschafft zu haben, doch als er auf seine Füße blickte, blutige Stümpfe zu sehen glaubte und sich sicher war, nie wieder ordentlich gehen zu können, fragte er sich, ob es nicht besser gewesen wäre, irgendwo da draußen in der Pampa liegen geblieben zu sein, als diese aufdringlichen, befremdeten Blicke zu ertragen.
    Er konnte die Gaffer nicht einmal mehr verfluchen. Der Hass, der ihn ansonsten einer ständigen Flamme gleich verzehrte, war zu einem dürftigen Glimmen verkommen. Er hatte einfach nichts mehr, womit er ihn nähren konnte, weil er sämtliche Kräfte brauchte, um irgendwie nach Hause zu kommen.
    Als er die Herberge seiner Mutter erreichte, konnte er sich gerade noch über die Türschwelle schleppen. Dann fiel er zu Boden, schloss die Augen und schlief sofort ein.
    Als er erwachte, wusste er nicht, wie viel Zeit vergangen war. Zum ersten Mal seit langem war er erleichtert, dass sie fast keine Gäste mehr hatten, weil das Essen so schlecht und die Räume so verdreckt waren, denn so war es ihm wohl erspart geblieben, dass ihn irgendwer hatte da liegen sehen und achtlos über ihn hinweggestiegen war.
    Doch als er versuchte, sich mühsam aufzurappeln – sein Kopf schien ihm ob dieser Anstrengung fast zu zerplatzen –, sah er, dass ihm eines nicht erspart blieb: Agustina stand nicht weit vor ihm und schlug, zutiefst entsetzt über den Anblick, den er bot, die Hände über den Kopf zusammen.
    »Mein Gott!«, rief sie mit der heiseren, kläglichen Stimme, die er so verachtete. »Mein Gott!«
    Er versuchte, sich auszumalen, was genau sie wohl sah: einen Mann mit blutigen Füßen und zerkratzter Haut, über und über staubig und sandig, das Gesicht von der Sonne verbrannt, das Haar von Ästchen und dornigen Ranken

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