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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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übersät.
    Die Erschöpfung hatte zunächst die Erinnerung ausgemerzt – nun kam sie wieder: wie die Rothaut ihn verschleppt hatte, wie er stundenlang in der Pampa herumgeirrt war, wie er geglaubt hatte, er müsse elendiglich verdursten. Immerhin war er auf zwei Bäche gestoßen, um daraus zu trinken, und dennoch hatte er gezweifelt, dass er jemals wieder zurück in eine belebte Gegend finden, sich vielmehr in der endlosen Weite verirren, verrecken und von einem Kondor gefressen werden würde. Die Todesangst hatte sämtlichen Hass verdrängt, die Hoffnungslosigkeit, den Neid.
    »Wo bist du gewesen? Was ist nur mit dir passiert?«
    Nun, jetzt konnte er wieder hassen – dieses weinerliche Gebaren nämlich!
    Endlich hatte er sich aufgerichtet, hielt sich an der Wand fest, bis er mühsam das Gleichgewicht fand, humpelte dann an ihr vorbei. Als sie nach ihm griff und ihn festhielt, schüttelte er sie rüde ab. Jetzt fiel ihm auch wieder ein, dass seine Hände von dieser verfluchten Rothaut gefesselt worden waren. Er hatte den Strick noch nicht lösen können, als er in der Steppe endlich auf eine Truppe fahrender Händler gestoßen war. Nicht nur, dass er sie regelrecht um Hilfe hatte anflehen müssen; obendrein hatte er lang und breit beteuern müssen, dass er kein entlaufener Schafdieb war. Die Händler hatten ihm schließlich den Weg Richtung Punta Arenas gewiesen und ihn von den Fesseln befreit, aber sie hatten ihn angesehen, als hätte er Aussatz. Noch jetzt glaubte er, die abfälligen Blicke zu spüren, und sein geschundener Körper spannte sich an.
    »Esteban …«
    »Es geht dich nichts an!«, schrie er.
    Er wollte zu seiner Kammer hochlaufen, aber die schmerzenden Füße ließen es nicht zu. Kaum hatte er drei Stufen genommen, musste er innehalten und sich am Geländer der Treppe festklammern.
    »Esteban! Soll ich etwas tun?«
    »Du hast schon viel zu viel getan!« Er glaubte, die Kehle müsste zerspringen vor Schmerz. Immerhin war die Erschöpfung nicht mehr ganz so groß, um sämtliches Denken auszuhöhlen. Das Flämmchen Hass flackerte wieder auf, und inmitten dieses Gefühls von Demütigung und Selbstverachtung war es eine Wohltat. Ja, dieses Flämmchen würde ihn wärmen, ihn heilen, ihm wieder genügend Kraft geben, um sich breitbeinig vor sie hinzustellen.
    Agustina hatte tatsächlich schon viel zu viel getan … hatte sich von einem Mann verführen und von ihrem Vater verjagen lassen, hatte ihn als Bastard geboren und ihn so ärmlich aufwachsen lassen … und dann, als sie ein einziges Mal zu etwas Geld, zu etwas Besitz gekommen war, hatte sie es in den Rachen der Weiber geschleudert … dieser verdammten Weiber, die irgendwo saßen, über ihn lachten und höhnten.
    Emilia war zwar nicht dabei gewesen, als die Rothaut ihn gefesselt hatte, dennoch vermeinte er, er könnte nun auch ihr Gelächter hören, wie sie in das der Russin und der Indianerhure einstimmte. Die Flamme kroch höher, zerplatzte siedend heiß in seinem Kopf, vernichtete alles mit ihrem rötlichen, gleißenden Licht. Er sah nichts mehr, hörte nichts mehr, nur dieses Gelächter – und dann schlug er zu.
    Er wusste zuerst gar nicht, wen, wusste nicht, wie fest und wie oft – er wusste nur, dass es nach all den Qualen so gut tat. Irgendwann öffnete er die Augen, sah seine Mutter, wie sie sich das blutende Gesicht hielt und röchelnd vor ihm zurückwich. Er war zwar schwach und ausgelaugt, aber so stark wie sie war er noch lange. Er setzte ihr nach, hob wieder die Faust, drosch sie in das faltige, warme Gesicht und wähnte ihre schlaffe Haut unter seinem Schlag zerplatzen. Sie keuchte, flehte, bettelte.
    »Esteban … was tust du nur? Esteban!«
    Dann irgendwann verstummte sie. Sie lag auf dem Boden wie ein gefällter Baum, unfähig, sich zu rühren, unfähig, gar zu stöhnen.
    Endlich wurde die Flamme etwas kleiner. Halb verwirrt, halb unbehaglich starrte er auf die blutende Frau zu seinen Füßen. Nein, es tat ihm nicht leid, was er getan hatte, er hatte seine Mutter nicht zum ersten Mal geschlagen, aber langsam ging ihm auf, dass sie – anders als die übrigen Weiber – nie über ihn gelacht hatte und dass sie zu schlagen das Gelächter nicht hatte verstummen lassen.
    Er hielt sich die Ohren zu, verlor darob das Gleichgewicht und kippte neben Agustina auf den Boden. Der verwundete Sohn neben seiner blutenden Mutter … Er hätte lachen wollen über den Anblick, den sie boten, aber nun, da der Hass nachgelassen hatte,

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