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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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drängte er.
    Esteban entschied, nicht länger über Jerónimo nachzudenken. »Was weiß ich!«, stieß er aus. »Wir könnten Rita töten. Wir vergewaltigen sie wieder. So etwas in der Art.«
    »Du bist ein Dummkopf«, schimpfte Jerónimo. »Sie zu töten würde viel zu schnell gehen – und dass wir sie gewaltsam nehmen, hat sie schon einmal verkraftet …«
    Jerónimos Blick wurde nachdenklich und zugleich auch wacher. Esteban wusste: Auf seine Freundschaft konnte er nicht zählen, aber auf dieses kranke Hirn, das Lust hatte, andere zu quälen.
    »Ich weiß, womit wir sie am meisten treffen können«, sagte Jerónimo schließlich genussvoll.
    »Wie?«, fragte Esteban heiser.
    Jerónimos Blick wurde gierig und verächtlich zugleich.
    »Bevor wir irgendetwas tun, musst du dich erst mal waschen«, befahl er. »Und du musst mir versprechen, nüchtern zu bleiben. Wir können den Plan nicht umsetzen, wenn du betrunken bist.«

31. Kapitel
    D ie Hufe des Pferdes gruben sich in die Erde, als Emilia es durch die Steppe trieb, in harte Büschelgräser und die Polsterpflanze, die nun im Herbst gelblich braun vertrocknete, ehe sie im nächsten Frühjahr neue, grüne Triebe hervorbringen würde. Am höchsten wuchsen die Dornbüsche – ein dichtes Gestrüpp an manchen Stellen, das sich nur durch einen beherzten Sprung mit dem Pferd überwinden ließ. In der Ferne reckten sich die weißen Spitzen der Berge gen Himmel, abwechselnd drohend dunkel, von sanftem Violett oder gleißend hell. An einem Tag konnte man in Patagonien vier Jahreszeiten erleben, hieß es, und Emilia hatte das oft genug erfahren, wenn sie bei Sonne ins Freie ging und wenig später vom Regen durchnässt ins Haus zurückkehrte, doch noch nie war ihr das Wetter so launisch und wankelmütig erschienen wie in diesen Tagen.
    Ohne das Pferd anzuhalten, drehte sie sich um. Der Wind wehte so heftig, dass ihr das Haar wie so oft nach allen Seiten vom Kopf wegflog, aber er war erträglich im Vergleich zum Regen, der sie vorhin heimgesucht hatte. Es hatte den Anschein gehabt, als würden die Tropfen waagerecht fallen. Als der Wolkenbruch endlich sein Ende gefunden hatte, war Emilia sich sicher gewesen, niemals wieder trocken zu werden, doch die bissige Sonne hatte rasch ihre ganze Kraft entfaltet – ehe sie vom Wind hinter neuerlichen Wolken vertrieben wurde. »Sind wir bald da?«, fragte sie.
    Sie vernahm Arthurs Antwort inmitten von Wind und Hufgetrampel nur undeutlich, glaubte jedoch ein knappes Ja zu hören. Als sie sich wieder umwandte, war von den weißen Bergspitzen zunächst nichts zu sehen, so dicht waren sie von Nebelschwaden verhüllt. Doch nachdem sie eine Weile weitergeritten waren, nahm der Wind nicht länger nur den Kampf mit Emilias störrischem Haar auf, sondern auch mit dem düsteren Knäuel. Ein paar energische, stöhnenden Atemzüge – dann riss der Himmel auf und zeigte die stolzen Gipfel der Südkordillere.
    Die Berge, die vor ihnen aufragten, glichen Felsenburgen. Breit und wuchtig dort, wo sie aus dem Flachland erstanden, wurden sie nach oben hin immer dünner und mündeten in Felsspitzen, gichtigen Fingern gleich, die sich dem Blau entgegenreckten. Die Gipfel waren vom Schnee gekrönt, der bei düsterem Himmel schmutzig grau wirkte, jedoch reinlich weiß glitzerte, wenn die Sonne darauf fiel.
    Emilia zog an den Zügeln. »Das also ist es«, sagte sie ehrfürchtig, als das Pferd stillstand.
    Manchmal hatte sie von der Estancia aus in der Ferne die Berge gesehen, doch niemals so nah und niemals so weiße, spitze und mächtige.
    »Ja«, murmelte Arthur und brachte sein Tier neben ihr zum Halten. »Bevor ich erstmals nach Chile kam, hat mich irgendwer auf dem Schiff gewarnt, dass Patagonien das düsterste Land der Welt sei, wild, einsam und unerforscht, dass es nichts als Steppe oder Urwald gäbe und alles vom tückischen Eismeer umgeben sei. Aber es gibt eben doch mehr – diesen Ort zum Beispiel. Es heißt, er ist der schönste Patagoniens. Ich wollte immer schon einmal hierher zu den Torres del Paine – nur hat sich bis jetzt niemals eine Gelegenheit geboten.«
    Emilia nickte. Eine Weile betrachteten sie schweigend jene Hörner aus Granitstein, die von den Mapuche blaue Türme genannt wurden, ehe wieder Wolken aufzogen, nicht dunkel diesmal, sondern kaum dichter als ein Spinnennetz, das sich um die Gipfel flocht. Dann ritten sie weiter, von zwei Männern gefolgt, die den Proviant und die Zelte transportierten, die sie in Punta Arenas

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