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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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ungeduldig. »Können Sie es bestätigen?«
    »Ja«, murmelte Rita kraftlos. »Ja, so, wie Agustina es sagt, ist es gewesen.«
    Immer noch konnte sie den Blick nicht von der alten Frau lassen. Nicht die übliche Unsicherheit stand in Agustinas Gesicht, kein schlechtes Gewissen, keine Angst um den Sohn, Furcht vor ihm und auch diese gequälte Liebe – nur Erleichterung.
    Was habe ich nur getan?, durchfuhr es Rita. Ich lasse zu, dass sie sich etwas anlastet, was ich getan habe?
    Doch ihre Gedanken verstummten unter Agustinas entschlossenem Blick. Wieder vermeinte sie, ihre Gedanken zu hören.
    Für Aurelia.
    Ja, was immer sie getan hatte – Agustina hatte es für Aurelia getan, hatte es für sie tun müssen. Und Rita musste sie gewähren lassen.

    Ana trat dicht an Rita heran. Vier Tage waren seit der denkwürdigen Gerichtsverhandlung vergangen. Über Nacht hatte es wieder geschneit, und der Schnee dämpfte nun ihre Schritte. Rita hatte die Reise zur Estancia vermeintlich wegen dieser dicken weißen Decke aufgeschoben – doch jeder wusste, was sie in Wahrheit trieb, noch zu bleiben.
    »Bist du bereit?«, fragte Ana leise.
    Als sie sie anblickte, glich sie kurz der alten Rita – verträumt, unsicher, zögerlich –, doch dann straffte sie die Schultern und erklärte: »Ja, ich bin bereit. Schließlich ist heute der letzte Tag, um …«
    Sie fuhr nicht fort – Ana wusste ohnehin, was sie sagen wollte.
    Heute war der letzte Tag, um mit Agustina zu sprechen. Sie war zum Tode verurteilt worden, und morgen früh würde sie am Galgen hängen. Ana wusste, dass Rita es sich nie erlaubt hätte, sich nicht von ihr zu verabschieden, aber sie wusste auch, wie schwer ihr diese letzte Begegnung fiel – nicht weniger schwer, als Agustinas Opfer anzunehmen. Auch wenn sie selten darüber sprach – insgeheim haderte sie wohl ständig damit, Agustinas Worte bestätigt und sie damit dem Tod am Strang ausgeliefert zu haben.
    Ana spürte, wie Rita erschauerte, als sie das Gefängnis betraten. Balthasar hatte eigentlich auch heute dabei sein und Rita bei dem schweren Gang unterstützen wollen, aber Rita hatte darauf bestanden, nur Ana mitzunehmen. Ana war wiederum nicht nur hier, um Rita beizustehen, sondern trug das kleine Fläschchen bei sich, das sie von Ernesta bekommen hatte und dessen Inhalt vor wenigen Tagen noch für Rita bestimmt gewesen war.
    Agustina war in der gleichen Zelle wie zuvor Rita eingesperrt. Die Kälte hockte noch hartnäckiger im Gemäuer und hatte die Wände mit Eisblumen überzogen. Agustina schien jedoch nicht zu frieren; als sie hochblickte, hatte sie nichts mit dem verhuschten Wesen gemein, als das sie durchs Leben gegangen war. Ihre Haltung war starr, ihr Blick klar.
    Eine Weile sahen sie sich wortlos an – nicht einmal ein Gruß war über ihrer aller Lippen gekommen.
    Rita zitterte nicht länger, doch aus ihren Augen quollen Tränen. Bis jetzt hatte sie nie geweint, weder in dem Augenblick, da sie Esteban erschossen hatte, noch während ihrer Haft in Punta Arenas oder der denkwürdigen Gerichtsverhandlung. Doch nun konnte sie nicht anders und wurde vom Schluchzen schier überwältigt. Ana legte ihre Hand auf den bebenden Rücken. Auch Agustina war näher getreten, wenngleich sie Rita nicht berührte.
    »Es tut mir leid«, weinte Rita. »Es tut mir so unendlich leid. Wenn ich etwas tun könnte … Warum hast du nur … Ich verstehe immer noch nicht …«
    »Sei still!«, unterbrach Agustina sie leise. Tiefe Falten gruben sich in ihrem Gesicht ein, so, als bestünde sie nur noch aus Haut und Knochen und als wäre keinerlei Fleisch mehr dazwischen.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, schluchzte Rita. »Ich hätte nie erwartet, dass ausgerechnet du für mich … lügst.«
    »Gottlob hast du nicht widersprochen!«, meinte Agustina nur. Das Tuch, das um ihre Schultern lag, war voller Flicken, ihre grauen Haare zerzaust. Ana konnte sich nicht erinnern, Agustina Ayarza je in einem anderen Zustand gesehen zu haben als zerfleddert, weinerlich und überfordert. Eigentlich hatte sie nie viel mit ihr zu tun gehabt und sie dennoch immer verachtet, so wie sie alle schwachen Menschen verachtete.
    Früher hatte sie auch Rita für schwach gehalten. Aber Rita hatte bewiesen, dass in ihr mehr steckte als das verträumte, ängstliche Mädchen. Und nun hatte auch Agustina Stärke gezeigt, für die Ana ihr Respekt zollte.
    »Aber jetzt werden sie dich … werden sie dich …«, stammelte Rita.
    Da trat

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