Jenseits von Feuerland: Roman
sein konnte. Vielleicht würde sie nie wieder in ihrem Leben einen Mann halten und küssen, vielleicht nie einen Ehemann, eine Familie haben.
Aber ihn hatte sie. Jetzt.
Kurz waren seine Küsse sanfter, zärtlicher geworden, jetzt presste sie wieder seinen Mund auf seinen, als wolle sie all sein Leben aus ihm heraussaugen.
»Was … was ist denn heute mit dir los, Emilia?«, brachte er zwischen den Küssen hervor.
»Du warst so oft weg in letzter Zeit.«
»Hast du dich vernachlässigt gefühlt?«
»Vielleicht ein bisschen.«
»Aber du weißt doch, dass ich dich liebe, dass ich dich immer geliebt habe. Kannst du dich noch erinnern, als …«
Sie stand still, küsste ihn nun nicht mehr, sondern legte ihren Kopf auf seine feste, warme Brust, um seinem Herzschlag zu lauschen. Sie gab sich ganz dem Zauber des »Erinnerst du dich noch?« hin, mit dem er ihre Kindheit, ihre Jugendzeit heraufbeschwor. Ewig schien diese zurückzuliegen. Bis heute hatte sie sich jung und hoffnungsvoll gefühlt, doch jetzt war ihr, als läge ihr ganzes Leben hinter ihr. Und so war es ja auch. Das Leben der Emilia Suckow war unwiderruflich zu Ende. Jetzt musste sie als Emilia Mielhahn weiterleben.
Sie erschauerte. Manuel umarmte sie. »Ist dir kalt? Sollen wir wieder zurückgehen?«
»Nein, mir ist nicht kalt. Und ich will auch nicht zurückgehen. Ich will …« Sie brach ab. »Ich will dich.«
Er begriff nicht, was sie meinte, bis sie ihn zu einem der Baumstämme drängte und sich so fest an ihn presste, dass er sich kaum rühren konnte.
»Emilia …«
Wieder stiegen Tränen in ihr hoch, wieder schluckte sie sie herunter. Mit gleicher Entschlossenheit begann sie, an seinem Hemd zu zerren, die nackte Haut darunter zu betasten. Das hatte sie noch nie getan.
»Emilia …«, sagte er wieder, heiser, rauh. »Emilia, was tust du denn?«
Sie hielt die Augen geschlossen, tastete sich blind über seinen Körper, so vertraut und zugleich fremd, weil sie diese letzte Nähe niemals eingefordert hatte. »Wir heiraten bald«, sagte sie rasch. »Warum sollen wir noch warten?«
»Eben darum – weil wir bald heiraten!«
»Ach weißt du, eigentlich ist es mir nicht so wichtig, dass wir vor allen anderen als Mann und Frau gelten. Dass wir beide zusammengehören, das habe ich immer gewusst.«
Er wollte noch etwas sagen, doch da ließ sie ihren Kopf vorschnellen, küsste sein Ohrläppchen. Er wurde glühend rot und brachte kein Wort mehr hervor.
Danach ging alles ganz schnell. Sie hatte sich fest vorgenommen, diese gestohlene Stunde ganz intensiv zu erleben, damit sie von der Erinnerung daran ihr restliches Leben zehren konnte. Feierlich sollte sich ein jeder dieser Augenblicke anfühlen, bedachtsam erobert und genossen. Doch nun schien ihr Langsamkeit fehl am Platz. Sie hatte das Gefühl, dass sie für kurze, sehr kurze Zeit an einem reichgedeckten Tisch saß, und wenn sie nicht so schnell und so viel wie möglich von den Speisen aß, würde sie sie nie wieder kosten dürfen.
Also nahm sie alles. Sie streifte ihm das Hemd über die Schultern, sah, wie sich Gänsehaut über seinen muskulösen Oberkörper ausbreitete, strich darüber.
Fragend blickte er sie an, schien immer noch nicht recht zu begreifen, was sie wollte. Sie wusste es ja selbst nicht genau, wusste nur, dass sie nicht darüber nachdenken konnte – denn dann wäre ihr auch wieder bewusst geworden, dass sie Emilia Mielhahn war, nicht Emilia Suckow. Ihr Geist war so lahm, dass auch Scheu und Skrupel und Unbeholfenheit keine Macht über sie gewannen. Kaum war sein Oberkörper entblößt, zog sie an ihrer Bluse, öffnete sie, legte seine Hände auf ihre nun nackte Brust.
In seinem Blick leuchtete etwas auf, was alle Fragen vertrieb – Lust, Begehren und gleiche Aufregung wie bei ihrem ersten Kuss, als sie sich wagemutig an eine bis dahin unüberschrittene Grenze herangetastet hatten. Ob das Blut ihm ebenso durch seine Adern raste wie ihr, das Herz ihm bis zum Hals schlug, die Kehle eng wurde? Letzteres wohl nicht, denn bei ihr war es die Traurigkeit, die es bedingte und die ihm fremd war … noch. Morgen würde er auch traurig sein, morgen, wenn sie ihn verlassen musste, wenn sie …
Sie schob den Gedanken daran mit aller Macht beiseite. Das Morgen zählte nicht, es zählte nur, sich jedes Fleckchen seiner Haut einzuprägen, den Geschmack seiner Lippen und seiner Haut. Es zählte, das fremde Gefühl auszukosten, als seine rauhen Hände erst ihre Brust berührten, dann den
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