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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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sprach sie mit leisem Zischen. »Aber wenn du mir oder meinen Lieben jemals wieder zu nahe kommst, dann endest du wie Esteban.«
    Das höhnische Lächeln schwand von seinen Lippen. Seine graublauen Augen wirkten durchsichtig wie die dünne Eisschicht, die sich über die Rinde des Baums gelegt hatte. Kurz war ihr, als könne sie unmittelbar in seine verkommene Seele sehen, doch zu ihrem Erstaunen rief das nicht das erwartete Entsetzen hervor. Da war nichts, einfach nichts, nur Ödnis und Leere und Langeweile – nicht einmal der glühende Hass, der Esteban verzehrt hatte. Hätte ihr jemand gesagt, dass Jerónimo wie sein Kumpan längst tot war – sie hätte es geglaubt, obwohl er aufrecht vor ihr stand, atmete und redete.
    »Ich weiß, dass Agustina gelogen hat«, sagte er grimmig. »Dich müsste man aufhängen, nicht sie. Und selbst wenn es wirklich sie gewesen wäre, die den eigenen Sohn abgeknallt hätte – auch dann wäre der Galgen der richtige Ort für eine wie dich. Deine Zeit ist abgelaufen, Indianermädchen. Rothäute haben auf unserer Welt nichts verloren.«
    Ritas Blick blieb starr auf ihn gerichtet, während er sprach. Kein einziges Mal zuckte sie zusammen oder wich zurück, sondern ließ jedes Wort an sich abperlen. Sein Grimm wuchs, da sie so gleichmütig blieb – und insgeheim genoss sie das.
    »Bist du fertig?«, höhnte sie, als seine Worte in bittere Flüche übergingen. »Glaub nicht, dass du mir noch länger Angst machst, Jerónimo Callisto. Du bist brutal wie Esteban und noch viel grausamer als er – denn er fügte Leid aus Rache und Verbitterung zu, du immer nur aus Langeweile und aus Lust am Quälen. Aber ich weiß, dass du nicht dumm bist. Du lässt dich nicht von Gefühlen leiten, sondern wägst sorgfältig ab, ob sich dein Einsatz lohnt oder es gefährlich für dich enden könnte. Allein darum wirst du dich daran halten.«
    »Woran halten?«
    »Dass du mir und den Meinen nie wieder zu nahe kommen wirst.«
    »Pah!«, rief er. Die warme Luft, die er ausstieß, bildete eine graue Wolke vor seinem Gesicht. »Pah! Ich kann gerne darauf verzichten, dass sich unsere Wege noch einmal kreuzen. Was habe ich schon mit einer stinkenden Rothaut zu schaffen? Für dieses Mal magst du gewonnen haben, aber die Zeit wird kommen, da man deinesgleichen alle abschlachtet. Da muss ich mir nicht selbst die Hände schmutzig machen, sondern nur ein wenig Geduld aufbringen.«
    Wieder stieß er ein verächtliches »Pah!« aus, dann löste er sich von dem Baum, drehte sich um und stapfte langsam durch den Schnee.
    Für einen Moment überkam Rita tiefe Erleichterung, nicht länger in die kalten, graublauen, toten Augen sehen zu müssen, doch dann ballte sie ihre Hände zu Fäusten und rief ihm in der Sprache ihrer Kindheit, dem Mapudungun, etwas nach.
    Jerónimo fuhr herum. »Was, zum Teufel …?«, fauchte er, als hätte sie ihn mindestens gekratzt oder geschlagen.
    Sie wiederholte die Worte.
    »Was redest du denn da?«, rief er.
    »Ich habe dich verflucht, Jerónimo Callisto. Die Medizinfrauen unseres Volkes waren sehr mächtig. Keiner legte sich mit ihnen an, denn über wen sie das Unheil beschworen, der verlebte den Rest seiner Tage ohne Freude.«
    Er kniff seine Augen zusammen. »Dummes Zeug!«, stieß er aus.
    Rita lächelte schal, ließ ihre Fäuste jedoch nicht sinken, sondern ballte sie noch fester zusammen. »Du wirst den Fluch zu spüren bekommen, Jerónimo Callisto, wenn der Wein, den du trinkst, wie Essig schmeckt, und das Fleisch, das du isst, in deinem Mund zur Asche zerfällt. Und selbst wenn du dir einzureden versuchst, dass alles nur Einbildung wäre, so wirst du spätestens dann wissen, wie machtvoll meine Worte sind, wenn du in den Armen eines dummen Mädchens liegst, das sich von deiner vermeintlichen Schönheit blenden lässt. Dann nämlich wird deine Manneskraft schrumpfen wie ein alter, fauliger, vertrockneter Apfel.«
    Ohne Scheu trat sie auf ihn zu und wiederholte den Fluch.
    »Halt endlich dein Maul, Rothaut!«, schrie er auf. Nun hob auch er drohend seine Hände, und Rita hörte Balthasar und Maril erschrocken hinter sich aufschreien. Sie achtete nicht darauf, sondern trotzte Jerónimo mit erhobenem Haupt.
    »So heiße ich nicht!«, erklärte sie hart, und wieder verfluchte sie ihn.
    »Halt endlich dein Maul, Rita!«
    »Auch das ist nicht mein wahrer Name«, erklärte sie. »Ich heiße … Pire.«
    Dicht vor ihr blieb er stehen, doch er wagte es nicht, sie anzufassen – vielleicht

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