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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Ana nach vorne und mischte sich erstmals in das Gespräch ein. »Nein!«, erklärte sie entschlossen. »Sie werden dich nicht hängen. Wenn du willst, kannst du ihnen zuvorkommen.«
    Rita hörte vor Erstaunen zu schluchzen auf, Agustinas bislang starrer Blick wurde rege.
    Ana hob das Fläschchen hoch.
    »Das habe ich von Ernesta. Eigentlich …«, sie wandte sich an Rita, »eigentlich hat sie es mir für dich gegeben.«
    »Großer Gott, was ist das?«
    »Das ist ein Gift«, sagte Ana leise. »Strychnin. Ich möchte gar nicht wissen, woher Ernesta es hat. Maril hat mir schon früher davon erzählt. Ganze Stämme sind damit vergiftet worden. Weiße Schafzüchter haben die Tehuelche zu ihnen eingeladen und ihnen Wein ausgeschenkt – und wenig später waren sie tot. Zumindest sind sie schnell gestorben.«
    Rita erschauderte, aber Agustina streckte die Hand aus und nahm das Fläschchen an sich.
    »Siehst du«, sagte sie leise zu Rita, »der Galgen wird mir erspart bleiben. Es macht mir nichts aus zu sterben. Und ich bin alt, ich habe mein Leben gelebt. Ich möchte einfach nur schlafen.«
    Rita wischte sich die Tränen von den Wangen. »Aber warum nimmst du den Tod an meiner statt in Kauf? Ich dachte, du würdest mich hassen, weil ich deinen Sohn getötet habe. Du hast Esteban doch geliebt – trotz allem!«
    Agustinas Blick verschleierte sich; ihre Mundwinkel zuckten und verrieten den Schmerz, der hinter vermeintlichem Gleichmut verborgen lag. »Es stimmt«, gab sie leise zu, »ich habe nie aufgehört, ihn zu lieben, aber am Ende hat es mich nicht mehr blind gemacht. Ich konnte sehen, wer er war. Ach Rita, ich weiß doch, was er dir alles angetan hat. Wie könnte ich dich hassen, weil du Aurelia und dich vor ihm schützen musstest? Und außerdem … gütiger Himmel … Ich habe mich fast zu spät entschieden, aber als ich es gesehen habe …«
    »Was gesehen?«, fragte Ana.
    Die alte Frau trat zurück und blickte auf das winzige Fetzchen grauen Himmels. »In den letzten Wochen«, begann sie langsam zu erzählen, »habe ich mich um Aurelia gekümmert. Ana und Balthasar waren ja hier in Punta Arenas, und Pedro und die anderen Männer waren beschäftigt. Sie ist stark, deine Tochter, du kannst stolz auf sie sein. In den Nächten weinte sie manchmal, aber tagsüber ließ sie sich nichts von dem Grauen anmerken, das hinter ihr lag.«
    »Und was hast du gesehen?«, fragte Ana wieder.
    »Ein Muttermal. An ihrem linken Oberschenkel. Ich habe es entdeckt, als ich sie einmal gebadet habe, und da wusste … da wusste ich …«
    Ihre Stimme brach, doch die Worte genügten, dass sich Ana zusammenreimen konnte, was sie meinte.
    »Sie hat das gleiche Muttermal wie Esteban«, stellte sie fest.
    »Also ist Esteban ihr Vater«, fügte Rita leise hinzu.
    Ana spürte, wie sie wieder zu zittern begann, und legte ihr abermals sachte die Hand auf den Rücken.
    »Das ist, als ob man die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub hat«, knurrte Ana. »Denk lieber gar nicht erst darüber nach. Vor allem ist sie deine Tochter und …«
    »Nein«, unterbrach Rita, »nein, es ist gut. Es ist wirklich gut so. Esteban war immer so verbittert, so voller Zorn und Hass, aber wer weiß. Mit der rechten Führung hätte aus ihm ein anständiger Mann werden können …«
    »Nun mach keinen Heiligen aus ihm«, rief Ana. Wenn sie an sein bleiches Gesicht dachte, mit den strähnigen Haaren, die ihm stets über die Augen hingen, konnte sie nichts Gutes an ihm finden.
    »Das mach ich gewiss nicht«, sagte Rita schnell. »Ich habe ihn gefürchtet, und ich habe ihn gehasst. Aber dich, Agustina, dich hasse ich nicht. Ich bin froh, dass du die Großmutter von Aurelia bist.«
    Agustina löste den Blick vom Himmel, trat zu ihr und ergriff ihre Hand. »Und siehst du – darum musste ich es tun. Ich musste dich retten. Mich braucht Aurelia nicht, aber dich umso mehr. Und Esteban … nun, ich bin froh darüber, was Aurelia mir erzählt hat. Sie meinte, dass Jerónimo mehrmals verlangt habe, das Balg, wie er sie nannte, zu beseitigen. Doch Esteban wollte das nicht tun. Ich weiß nicht, warum, aber ich kann jeden meiner verbleibenden Atemzüge die Hoffnung in mir tragen, dass er es einfach nicht konnte, dass er trotz seines Hasses, seiner Verbitterung und seiner Bösartigkeit zu Mitleid fähig war, dass sie ihn irgendwie rührte. Und dass er ahnte, dass sie seine Tochter war. Ja, daran werde ich denken müssen in meiner letzten Stunde: Dass er nicht fähig war, ein

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