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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Lächeln von Esteban schien ihr als das kleinere Übel, gemessen an der Trostlosigkeit, die sie überkam, wenn sie noch länger hier eingesperrt war. Und so begnügte sie sich eines Morgens nicht länger damit, ihren Kopf durch die Luke zu strecken, um frische Luft zu schnappen, sondern stieg rauf aufs Deck. Ritas ängstlichen Warnungen stellte sie sich taub.
    Das Meer war heute ruhig, der Himmel bewölkt. Noch waren sie in der Nähe des Landes, und in der Ferne konnte sie Klippen erkennen, die mit Tang und glitschigem Moos bewachsen waren. Seeschwalben- und Möwenschwärme schwammen auf dem dichten Algenteppich in der Nähe der Schaluppe.
    Die Männer waren damit beschäftigt, Muscheln zu sammeln – und nun erkannte sie auch, wie sie das anstellten: Während der Ebbe schaukelten die Muschelbänke direkt auf dem Wasser, so dass man nur über Bord langen musste, um sie mit den Händen aufs Deck zu schaufeln. Nicht nur Muscheln waren unter der Ausbeute, sondern auch Seeigel – in diesen Gewässern so zahlreich, dass sie das Wasser schwarz-grün färbten. Anders als die Muscheln durfte man diese jedoch nicht mit der bloßen Hand anfassen, sondern musste sie mit einer dreizackigen Fischgabel fangen.
    Pedro knackte die Schale mit bloßen Händen und aß das Fleisch roh.
    »Eine Köstlichkeit!«, rief er begeistert, als er Emilia erblickte. Dass sie an Deck gekommen war, schien ihn nicht zu stören. Er erzählte ihr vielmehr bereitwillig alles über Muscheln, deren viele Arten er mühelos auseinanderhalten konnte. Am leckersten waren die Chapes, Locos und Tacas, aber auch die Machas und Choritos, Quilmahues und Piures könne man verzehren. Neben den Seeigeln waren ferner die Seeschnecken eine Delikatesse.
    »Ich werde sie kochen«, verkündete Emilia, »dann schmecken sie noch besser.«
    Sie blieb nicht lange im Freien, sondern stieg wenig später wieder in die Kombüse hinab, aber seit diesem ersten Mal kam sie immer wieder aufs Deck und scheute es nur in den Tagen, da sie auf dem offenen Pazifik segelten. In dieser stürmischen Zeit blieb sie zusammengekrümmt auf einer der Decken liegen, die Pedro ihr gegeben hatte, klammerte sich an ein Stuhlbein fest und war sicher, dass ihr Gesicht grünlich verfärbt sein müsse, so elend, wie sie sich fühlte.
    In den seltenen Momenten, da sie sicher war, zugrunde zu gehen – entweder an Seekrankheit oder weil die Schaluppe im Sturm kenterte –, konnte sie sich die Gedanken an Manuel nicht länger verbieten. Während sie ansonsten jede Erinnerung verdrängte, beschwor sie sein Gesicht herauf und tröstete sich an diesem Anblick, und erst als sie zu überlegen begann, wie es ihm wohl erging, ob er in der Zwischenzeit die ganze Wahrheit über ihre Herkunft erfahren und wie er es verkraftet hatte, dass sie ihn einfach verlassen hatte, schob sie die Gedanken an ihn wieder weit von sich.
    Als die dritte Woche ihrer Reise anbrach, verließen sie die Weite des Pazifiks und segelten in ruhigeren Gewässern. Emilia genoss es, wieder aufrecht stehen zu können, ohne bedrohlich zu schwanken, und hielt stundenlang ihren Kopf in die frische Seeluft. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass diese ihn ganz und gar leer pusten würde. Alle Gedanken an die Vergangenheit wurden ebenso in die luftigen Weiten geschleudert wie die Gedanken an die Zukunft.
    In der Ferne sahen sie Land – Berge und Gletscher zunächst, von denen Eis ins Wasser brach und es weiß färbte, später flachere Einöden. Einmal kamen sie an einem ausgedehnten Tuffsteinfeld zwischen Felsenriff und Flutlinie vorbei, wo Tausende von Möwen in die kleinen Aushöhlungen, die Wind und Regen in den Tuffstein gegraben hatten, ihre Nester gebaut und ihre Eier gelegt hatten. Einige der Männer ruderten mit einem kleinen Beiboot dorthin und kamen mit Möweneiern zurück. So groß wie Hühnereier waren sie – und noch größer die von Kormoranen, die sie ebenfalls gefunden hatten.
    »Noch kann man die Eier essen«, erklärte Pedro. »Aber je länger die Brutzeit währt, desto ungenießbarer werden sie – und die Möwen immer gefährlicher.« Er lachte, als sei das alles ein Spaß. Für die Männer war es das nicht. Immer musste einer mit dem Knüppel dastehen und Möwen abwehren, während der andere nach den Eiern suchte.
    Emilia briet einige Eier mit Kartoffeln und Speck und verwendete die anderen dafür, um Muschelsuppe stocken zu lassen. Erstmals aßen auch sie und Rita mit gutem Appetit, während Pedro ihre Kochkünste zwar

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