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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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lobte, aber zugleich den Aufwand für nicht notwendig befand. Ob roh oder gekocht, ob frisch oder verdorben – mittlerweile wusste Emilia, dass er alles aß, womit er den riesigen Magen füllen konnte, und dass ihm nie auch nur im Geringsten übel wurde.
    Nur einmal sah sie ihn erblassen. Dies war, als Rita schüchtern fragte, wann er denn den ersten Wal fangen würde.
    »Bis jetzt sind wir nur auf tote Wale gestoßen«, erwiderte er schnell, »man erkennt sie an den Seegeiern, die auf ihnen hocken und sich von ihnen ernähren. Oft müssen sie das Walfleisch später wieder heraufwürgen, weil sie sonst zu schwer sind, um zu fliegen.«
    Noch konnte Emilia die ungewohnte Blässe in seinem Gesicht nicht deuten, doch am nächsten Tag begann sie zu ahnen, dass sie Ausdruck von Verlegenheit war.
    Als sie an Deck stand, schienen sich nicht weit von der Schaluppe entfernt die Wasserfluten zu öffnen. Buckelwale schossen aus der Tiefe hervor und vollführten in der Luft wilde Sprünge.
    »Wale!«, schrie sie aufgeregt. »Hier sind Wale!«
    Die Männer hatten sich an ihre Anwesenheit gewöhnt, doch nie hatte einer auch nur versucht, mit ihr zu reden. »Na und?«, wurde jetzt gemurrt.
    »Pedro will doch sicher bald einen solchen Wal fangen!«, rief Emilia.
    Einer der Männer grinste. »Den hier gewiss nicht und den nächsten, dem wir begegnen, auch nicht.«
    »Aber …«
    »Seinen letzten Wal hat Pedro vor zwanzig Jahren gefangen. Seit damals verdienen wir unser Geld nur noch, indem wir Muscheln, Seesterne und kleine Fische verkaufen.«
    Emilia drehte sich zu Pedro um. Er hielt seinen Kopf gesenkt, aber dennoch sah sie, wie sein Gesicht nunmehr zu glühen begann.
    »Ist das wahr?«, fragte sie spöttisch.
    Pedro hob den Kopf und entschied offenbar, in die Offensive zu gehen. Stolz schlug er sich auf die Brust. »Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wir das letzte Mal Jagd auf einen Wal machten! Mit zwei Schaluppen waren wir unterwegs – eine hat der Wal verschluckt.«
    Die Männer grinsten, Emilia zog skeptisch die Stirn kraus.
    »Und seitdem hast du Angst vor Walen?«, fragte sie.
    Pedro schüttelte stolz den Kopf. »Von wegen – ich habe nur herausgefunden, dass mir Muscheln besser schmecken als Walfleisch.«
    Ohne eine weitere Erklärung ließ er sie stehen. Von nun an prahlte er weiterhin oft und gerne – doch nie wieder über den Walfang.

    Rita blickte Emilia nach, als diese wieder einmal aus der Kombüse floh, und schüttelte den Kopf. Sie konnte nicht verstehen, warum Emilia freiwillig Zeit auf dem Deck verbrachte. Rita setzte es bereits zu, sie dort zu wissen – ihr zu folgen war undenkbar.
    Doch je länger die Reise dauerte, desto mehr Mut bewies Emilia. Sie strebte nicht mehr nur an den ruhigen, sondern auch an den stürmischen Seetagen nach oben – eine regelrechte Todesverachtung bekundend, als würde es ihr nichts ausmachen, von einer Böe über Bord gefegt zu werden.
    Nun, die Angst zu ertrinken hielt Rita nicht davon ab, es ihr gleichzutun – umso mehr aber die Angst vor zudringlichen Blicken. Nur an Pedro hatte sie sich gewöhnt, in seiner Gegenwart fühlte sie sich sogar richtig wohl. Genauso wie sie das Nähen mochte, wenn es ihr nicht gerade von Erinnerungen verleidet wurde – Erinnerungen an die Großmutter, die Wolle aus Schafen und Lamas gesponnen, gewebt und gefärbt hatte. Manchmal war es ihr, als würde die alte Frau mit den dunklen, warmen Augen über ihre Schultern blicken und wohlwollend betrachten, was sie da tat, und energisch musste sie sich immer wieder vorsagen, dass ihre Großmutter tot war – und dass sie keine Mapuche mehr sein durfte, sondern nun eine Spanierin war.
    Wenn sie gerade nicht nähte, las sie in dem Buch, das sie heimlich mitgenommen hatte. Meist verschwammen ihr ob des steten Schaukelns die Buchstaben vor den Augen, aber mittlerweile hatte sie so viele Szenen wieder und wieder gelesen, dass sie sie fast auswendig vorsagen konnte: So befremdend sie die Geschichte zunächst gefunden hatte, weil sie nie dergleichen gelesen hatte, so sehr fieberte sie mittlerweile mit dem Schicksal jener Gouvernante mit, die auf einem Gutshof in Deutschland den Mann ihrer Träume fand und, nachdem sie viele Hindernisse und Missverständnisse aus dem Weg hatte räumen können, endlich glücklich wurde. War die Kombüse der Raum, in den sie sich vor aufdringlichen Männerblicken flüchten konnte, so war dieser Roman wie ein lichtes und sauberes Zimmer ihrer Seele. Sie konnte

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