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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Gewürze kaufen, wenn man ihnen im Gegenzug Perlen und Silber anbot, mit denen sie ihre großen, muskulösen Leiber gerne schmückten. Einige solcher Perlen hatte sie erst kürzlich von Pedro bekommen, als der vor wenigen Tagen nach Punta Arenas gekommen und plötzlich in der Gaststube der Casa Ayarza gestanden war. Camillo hatte ihm den Weg zu ihnen gewiesen, und obwohl er nur kurz geblieben war, weil er festen Boden unter seinen Füßen scheute, hatte sich Emilia sehr gefreut, den einstigen Retter wiederzusehen – so wie sie sich jetzt darauf freute, mit den Perlen zu feilschen.
    Anfangs hatte sie sich kaum in die Nähe der Patagonier gewagt, so furchteinflößend wie diese wirkten. Doch dann hatte sie erfahren, dass sie nicht nur allesamt getauft, sondern längst gewohnt waren, wie Weiße zu leben. Während sie ihre Scheu abgelegt hatte, war es Rita zutiefst zuwider, mit den Steppenindianern zusammenzutreffen. Emilia konnte es sich nicht genau erklären und fragte auch nicht nach. Vielleicht erwachte einfach nur ihre altbekannte Angst vor Fremden, die genau besehen mit den Mapuche nicht viel gemein hatten. Vielleicht aber erweckte ihr Anblick traurige Erinnerungen – und wie es sich anfühlte, vor solchen auf der Hut zu sein, wusste Emilia nur allzu gut.
    »Nun beeil dich schon!«, drängte Emilia. »Es ist kalt!«
    Nach dem heißen Sommer war dies der erste herbstliche Tag. Noch am Morgen hatte ein dichter Nebelschleier über der Stadt gehangen; nun, am frühen Nachmittag, riss der Wind, der vom Estrecho, der Meerenge, kam, ihn auf und fuhr laut pfeifend und beißend durch die Gassen. Deutlich leerer als sonst waren sie, wenngleich es in Punta Arenas natürlich nie ganz still wurde. Mittlerweile konnte Emilia nicht nur die Nationalitäten unterscheiden, sondern auf den ersten Blick sagen, wer als Bauer oder als Händler arbeitete, wer zu den Straußenjägern gehörte, die ins Landesinnere zogen, wer ein Robbenfänger war, den es auf Expeditionen weit in den Süden verschlug, und wer sich als Strandbeuter verdiente, die von hier aus zu den Wracks in der Magellanstraße oder um das Kap Hoorn fuhren.
    Gar sonderlichen Menschen konnte man in dieser Stadt begegnen, und besser man gewöhnte sich ab, sich über irgendeine Eigenart zu wundern – weder über die von Männern, die in der Wildnis ihre Sprache verloren hatten und wie Bären wirkten, noch über exzentrische Engländerinnen, die ihre Männer nach Patagonien begleiteten und hier die Menschen mit seltsamen Angewohnheiten verstörten. Obwohl sie Punta Arenas oder Porty Sand, wie die Engländer die Stadt nannten, schon wieder verlassen hatte, sprach man bis heute über eine gewisse Lady Florence Dixie. Selbst die verhuschte Agustina, die sonst von ihrer Arbeit überfordert war und nichts vom Tratsch anderer Frauen mitbekam, wusste viel von ihr zu erzählen. Nicht nur mit Mann, Kindern und Bruder war sie einst hier angekommen, sondern mit einem eigenen Jaguar, der wie ein Haustier gehalten wurde. Sie war regelmäßig in die Steppe geritten, um dort gemeinsam mit den Indianern Whisky zu trinken, und das – was der noch größere Skandal gewesen war – in Hosen.
    Für jemanden wie Agustina war es undenkbar, dass Frauen Hosen trugen, während sich Emilia insgeheim dachte, dass einiges dafür spräche.
    Als sie sah, welches Gesicht Rita eben machte – ängstlich, unwillig und verträumt zugleich – begann sie von Florence Dixie zu reden, um sie abzulenken. Doch so interessiert Rita Agustinas Schilderungen über die exzentrische Engländerin gelauscht hatte, heute sagte sie kein Wort dazu.
    »Weißt du noch, wie der Jaguar hieß, den sie sich hielt?«, versuchte Emilia, sie aus der Reserve zu locken.
    Rita zuckte nur die Schultern.
    »Nun stell dich nicht so an! Das Buch, das du liest, kannst du fast auswendig, und trotzdem hörst du nicht zu, was die Menschen dir erzählen?«
    »Ich weiß nicht mehr, wie der Jaguar hieß«, gab Rita zu, um sogleich entschlossen hinzuzufügen, »aber alles, was Agustina uns über sich erzählte, habe ich mir gemerkt.«
    Tatsächlich hatte Agustina an manchen Abenden auch über das eigene Leben, das sie hierhergeführt hatte, gesprochen.
    »Der Jaguar heißt Affums«, sagte Emilia schnell.
    Rita hörte gar nicht richtig zu. »Ihr … ihr ist im Leben so viel Schreckliches widerfahren«, murmelte sie und meinte ganz augenscheinlich nicht die Engländerin, sondern Agustina.
    Diesmal war es Emilia, die die Schultern zuckte.

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