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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Die alte Frau hatte ihr durchaus leidgetan, als sie erfahren hatte, wie diese einst in jungen Jahren von ihrem Vater, einem Schafzüchter, verstoßen worden war, weil ein Offizier sie geschwängert und sie einen unehelichen Sohn geboren hatte. Gewiss war es hart gewesen, in einer so unwirtlichen Gegend ganz auf sich allein gestellt zu überleben und ein Kind großzuziehen. Doch all das hatte Agustina mit einer raunzenden Stimme erzählt, die in Emilias Ohren unangenehm klang.
    »Der Mann, den sie liebte, hat sie und den Sohn einfach verlassen«, murmelte Rita erschaudernd.
    »Nun, ob sie ihn liebte, wissen wir nicht. Nur, dass sie so dumm war, sich von ihm verführen zu lassen, ohne verheiratet zu sein.« Schon im nächsten Augenblick biss sich Emilia auf den Lippen. Sie sollte die Letzte sein, die so vorschnell urteilte! Hatte sie nicht Gleiches getan – sich zwar nicht verführen lassen, aber einen Mann verführt, Manuel nämlich, um ihn schon am nächsten Tag zu verlassen? Diese paar Stunden hatte sie sich vom Schicksal gestohlen – und es hinterher doch mit der Angst zu tun bekommen gehabt, sie könnte schwanger sein. Zwar hatte sich die Angst als unbegründet erwiesen, aber es stand ihr nicht zu, schlecht über Agustina zu reden.
    »Nun, zumindest ihren Sohn liebt sie«, meinte Rita.
    »Was nicht unbedingt auf Gegenseitigkeit zu beruhen scheint«, meinte Emilia schnodderig, »sonst wäre er hier und würde seiner Mutter helfen, die Herberge zu führen, anstatt zuzulassen, dass sie sich allein zu Tode schuftet.«
    »Aber er hat Punta Arenas doch nur verlassen, um im Norden bei den Kupferminen Geld zu verdienen!«
    »Und warum schickt er ihr dann nichts von diesem Geld?«, fragte Emilia skeptisch. Insgeheim kam ihr das natürlich ganz zupass. Würde es einen fürsorglichen Sohn geben, dann hätte Agustina sie wohl nicht eingestellt, und selbst wenn, dann würde dieser Sohn sie nicht schalten und walten lassen, wie sie es wollte, sondern sie wie Dienstmädchen behandeln.
    »Nun komm, beeil dich!«, drängte sie, weil Ritas Schritte über das Reden immer langsamer geworden waren – wobei das vielleicht nicht am Reden lag, sondern einfach nur daran, dass sie bald auf die Patagonier treffen würden.
    Sie waren noch nicht bei deren Siedlung angekommen, als Emilia plötzlich innehielt. Der Wind pfiff mit hohem Seufzen, doch nun hatte sich ein anderes Geräusch dazugesellt – ein Schrei, nicht tief und dröhnend wie der von sich zankenden und prügelnden Betrunkenen, sondern hoch und grell.
    »Hast du das gehört?«
    Rita nickte ängstlich, aber anstatt zu lauschen, wie Emilia es nun tat, packte sie sie am Arm. »Komm, lass uns weitergehen!«
    »Das sagst ausgerechnet du mir?«, rief Emilia spöttisch, verstummte jedoch im nächsten Augenblick. Eben ertönte dieser spitze Schrei wieder, noch panischer und gequälter nun. Er schien aus dem Mund einer Frau zu kommen.
    »Meine Güte!« Rita zitterte, und Emilia sah ihr an, dass sie vor diesem Schrei am liebsten davongelaufen wäre. Kurz war auch sie geneigt, genau das zu tun. Aber sie konnte nicht. Als sie den Schrei ein drittes Mal vernahm, war sie sicher, dass eine Frau nur so schrie, wenn sie in höchster Not war – und dass sie dieser Fremden helfen musste.

    Als Emilia losstürzte, wusste Rita nicht, was sie tun sollte. Das verzweifelte Geschrei der Fremden verhieß Gefahr – und die wollte sie um alles in der Welt vermeiden. Emilia nicht zu folgen hätte allerdings bedeutet, allein zurückzubleiben, und das war eine noch furchterregendere Aussicht. Also lief sie ihr schließlich nach – ziemlich erleichtert, dass die Schreie bald wieder aufhörten.
    »Willst du nicht doch …«, setzte sie außer Atem an, als sie Emilia erreicht hatte.
    Doch in diesem Augenblick kam ein Mann um die Ecke gerannt. Er war so schnell unterwegs, dass er nicht auf den Weg achtete und erst Emilia fast umrannte, dann Rita seinen Ellbogen in die Seite stieß. Sie hatte sich noch nicht davon erholt, als sie sah, wie ein junges Mädchen dem Mann hinterherjagte. Sie hatte ihren Rock hochgehoben, um schneller laufen zu können, so dass Ritas Blick auf nackte, dürre Beine fiel.
    In Emilias Gesicht breitete sich Verwirrung aus. Sie dachte wohl das Gleiche wie Rita – dass eine Frau in Bedrängnis diese verzweifelten Schreie ausgestoßen haben musste, aber dass eine solche ihrem Widersacher nicht nachrennen würde, wenn dieser endlich von ihr abließ!
    Noch ehe die beiden um die

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