Jenseits von Feuerland: Roman
nächste Ecke verschwunden waren, hatte die Frau den Mann erreicht, einen Zipfel seines Hemds zu fassen bekommen und ihn zurückgerissen. Überrascht davon, dass sie ihn nicht nur eingeholt hatte, sondern tatsächlich auf ihn losging und gar die Fäuste erhob, um auf ihn einzuprügeln, erstarrte er kurz. Doch bevor sie ihn wirklich ernsthaft treffen konnte, stieß er sie weg.
»Lass mich in Ruhe, du dreckige Dirne!«
Rita zuckte zusammen.
Die Stimme … die Stimme des Mannes klang vertraut, so schrecklich vertraut. Und das Gesicht, das sie nun erkennen konnte, war es auch. Rita zitterte so stark, dass sie glaubte, die Welt würde mit ihr erbeben und die Hauswände über ihr zusammenstürzen.
Unter seinem Stoß fiel die Frau fast zu Boden – ihre restliche Statur war so dürr und sehnig wie die Beine –, aber sie fing sich rasch wieder und stürzte sich erneut auf den Mann. Auch wenn sie ihn nicht gewinnen konnte, war sie entschlossen, den ungleichen Kampf aufzunehmen, und diesmal ging sie nicht mit Fäusten auf ihn los, sondern versuchte, seine Haut mit spitzen Nägeln zu zerkratzen. »Du hast dein Vergnügen gehabt, jetzt bist du mir die Bezahlung schuldig!«, schrie sie. Die Stimme klang eher wütend als verzweifelt. Der Mann fluchte, als sie ihn am Hals erwischte, duckte sich kurz, und eine Weile waren ihre Leiber so ineinander verknäult, dass Rita nicht recht wusste, wo der eine aufhörte und der andere begann. Doch dann hatte der Mann die fremde Frau – ihre Haare waren blond wie Emilias, nur von einem schmutzigen, dunkleren Farbton – an den Handgelenken gepackt, hielt sie erst von sich, damit sie ihn nicht mehr kratzen konnte, und schleuderte sie dann so fest gegen die Hauswand, dass ihr der Atem wegblieb.
»Ach ja?« Er ließ eine Hand los, doch nur, um nun ihren Hals zu umfassen und langsam zuzudrücken. »Und wie willst du diese Bezahlung einfordern, wenn du dich nicht mal rühren kannst?«
Rita glaubte, den unbarmherzigen Griff an ihrem eigenen Hals zu spüren. Als der Mann auch noch zu lachen begann, spöttisch, verächtlich und wieder altvertraut, gaben ihre Knie nach. Ehe sie auf die Gosse sinken konnte, zerrte Emilia sie wieder hoch.
»Reiß dich zusammen!«, bellte sie. Auch ihr Körper zitterte – jedoch nicht vor Angst, wie Rita es an ihrem zornroten Gesicht ablas, sondern vor Wut. Natürlich hatte auch sie den Mann erkannt. Es war Esteban.
Immer erbarmungsloser legte sich seine Hand um den Hals der Fremden – ähnlich, wie er Emilia auf der Schaluppe gewürgt hatte. »Was willst du also nun tun, kleine Dirne? Mich vor Gericht zerren? Damit gibt sich der Gouverneur von Punta Arenas sicher gerne ab! Einer Hure zu ihrem Recht zu verhelfen!«
Endlich ließ er sie los, und die blonde Frau griff sich röchelnd an den Hals, zu geschwächt, um noch einmal auf ihn einzuschlagen. »Selbst schuld«, meinte er grinsend. »Man tut als Hure gut daran, vorher zu kassieren – hinterher ist es zu spät. Und, genau genommen, warst du nicht so gut, dass du für deine Liebesdienste Geld verdient hättest.«
Er reckte sein Kinn, straffte seinen Rücken und ging weiter – überzeugt davon, dass die junge Frau nun endgültig ihre Lektion gelernt hatte. Doch kaum hatte diese wieder genügend Atem geschöpft, eilte sie ihm nach. Rita konnte es nicht fassen. Sie selbst hielt sich zwar wieder notdürftig auf den Beinen, aber sie war sich sicher, dass sie gestorben wäre, hätte Esteban sie zu erwürgen versucht. Noch fassungsloser machte es sie, dass nicht nur die Fremde ihm nachlief, sondern nun auch Emilia.
Rita stieß einen schrillen Schrei aus. »Bist du wahnsinnig?« Daran, dass sie selbst auf diesen Unhold einst mit einem Messer losgegangen war, konnte sie sich in diesem Augenblick nicht erinnern.
Emilia hörte nicht auf sie, sondern hatte Esteban gemeinsam mit der anderen Frau erreicht. Während Esteban diese hatte kommen sehen und das Bein hob, um nach ihr zu treten, nahm er Emilia nicht wahr. Schon hatte sie sein Hemd erfasst und es entzweigerissen. Wütend fuhr Esteban herum, und seine Augen weiteten sich, als er sie erkannte, doch in dem Augenblick, da er die Fremde kurz außer Acht ließ, sprang diese ihn wie eine wild gewordene Katze an und hämmerte mit beiden Fäusten gleichzeitig auf ihn ein. Er duckte sich – nur, um nun auch von Emilia einen Schlag in den Leib abzubekommen. Für eine Weile war das das Letzte, was Rita sah, denn vor lauter Angst schlug sie sich beide Hände
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